Kein Recht eines Dritten auf Einsichtnahme in die Steuerakten eines Steuerpflichtigen – auch nicht, wenn gegen den Steuerpflichtigen der Verdacht des Betrugs zum Nachteil des die Akteneinsicht Begehrenden besteht. So entschied das Finanzgericht Baden-Württemberg.
Die Klägerin, Mitglied eines Bankenkonsortiums, hatte Geschäftsbeziehungen mit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Deren Gesellschafter-Geschäftsführer hatte sich im Jahr 2008 für Verbindlichkeiten der GmbH selbstschuldnerisch verbürgt. 2009 wurde auf Antrag der GmbH über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Gesellschafter-Geschäftsführer aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Es folgten Vergleichsverhandlungen zwischen der Klägerin und dem Gesellschafter-Geschäftsführer. Dieser legte der Klägerin zum 30. Juni 2009 eine Vermögensübersicht vor und versicherte eidesstattlich deren Richtig- und Vollständigkeit. Diese führte zu einem Vergleich. 2015 erstattete die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer wegen des Verdachts des Betrugs. Die Klägerin erlangte aus den Ermittlungsakten Kenntnis über eine Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers und ein beim beklagten Finanzamt geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. Daraufhin beantragte die Klägerin Einsicht in die bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle des beklagten Finanzamts geführten Ermittlungsakten und Auskunft zu Schweizer Konten des Gesellschafter-Geschäftsführers. Das beklagte Finanzamt gewährte unter Bezugnahme auf das Steuergeheimnis keine Akteneinsicht. Es erteilte keine Auskünfte.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg wies die Klage auf Akteneinsicht ab. § 30 der Abgabenordnung (AO) regle das Steuergeheimnis und abschließend die Voraussetzungen für eine Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten. Das beklagte Finanzamt sei nicht nach § 30 Abs. 4 AO zur Offenbarung seiner Kenntnisse befugt. Diese seien nicht „in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden“, sondern vor dessen Einleitung aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers. Diese Mitteilung von Tatsachen sei nicht freiwillig erfolgt. Hierzu sei der Gesellschafter-Geschäftsführer nach den Vorschriften der AO verpflichtet gewesen. Mit seiner Selbstanzeige habe er nicht zugleich eine allgemeine Straftat offenbart. Alleine die Erkenntnis über (weitere) Einkünfte reiche für die Annahme eines Betrugs zulasten der Klägerin nicht aus. Die von der Klägerin begehrte Mitteilung werde auch nicht zur Verfolgung eines Verbrechens benötigt. Ein Betrug sei kein Verbrechenstatbestand mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe. Dieser sei eine Wirtschaftsstraftat. Daher bestehe eine Offenbarungsbefugnis des beklagten Finanzamts nur, wenn sich die Straftat gegen die gesamtwirtschaftliche Ordnung richten würde. Solch gravierende Auswirkungen habe das Vorgehen des Gesellschafter-Geschäftsführers jedoch nicht. Dessen Vorgehen sei auch nicht geeignet, das Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern. Gehe es im Streitfall der Klägerin letztendlich um die zivilrechtliche Rechtsverfolgung, die Klägerin möchte Schadensersatzansprüche gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer geltend machen, bestehe auch kein „zwingendes öffentliches Interesse“ an der Offenbarung der Vermögenssituation des Gesellschafter-Geschäftsführers durch das beklagte Finanzamt.