Selbstanzeige – Voraussetzungen
§ 371 AO
Inhaltsübersicht
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7.
1. Allgemeines
Im deutschen Steuerstrafrecht kann unter den Voraussetzungen der Selbstanzeige des § 371 AO derjenige straffrei ausgehen, der in den Fällen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen oder unvollständigen Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder aber die unterlassenen Angaben nachholt.
Der Regelfall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO stellt die Steuerverkürzung durch Abgabe unrichtiger bzw. unvollständiger Steuererklärungen oder aber durch Nichtabgabe von Steuererklärungen dar.
Es sind folgende positive Voraussetzungen bei der Erstattung einer Selbstanzeige zu beachten:
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Täterschaft oder Teilnahme bei Steuerhinterziehung
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Adressat der Selbstanzeige
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Form der Selbstanzeige
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Inhalt der Selbstanzeige
2. Täterschaft oder Teilnahme bei Steuerhinterziehung
Durch die Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO erlangt der Anzeigende Strafbefreiung in den Fällen der vollendeten Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO, der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen gem. § 370 Abs. 3 AO sowie in den Fällen des Versuchs der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO). Die Selbstanzeige stellt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar.
Demnach kann folgender Personenkreis der Anzeigenerstatter einer Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO sein:
- a)
Täter einer Steuerhinterziehung (§ 25 Abs. 1 StGB)
- b)
Mittäter einer Steuerhinterziehung (§ 25 Abs. 2 StGB)
- c)
Nebentäter einer Steuerhinterziehung
- d)
Anstifter (Teilnahmehandlung im Sinne des § 26 StGB)
- e)
Gehilfe (Teilnahmehandlung im Sinne des § 27 StGB)
Hinweis:
Hierbei ist unbeachtlich, ob der Anzeigenerstatter auch gleichzeitig Steuerschuldner im Sinne des § 33 AO ist oder nicht. Ferner kommt es nicht darauf an, ob er für die verkürzten Steuerbeträge gemäß § 71 AO als Steuerhinterzieher oder Steuerhehler haftet oder nicht.
Die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO kommt lediglich dem Personenkreis zugute, der alle gesetzlichen Voraussetzungen des § 371 AO auch in seiner Person erfüllt (BGH, 24.10.1984 – 3 StR 315/84, StV 1985, 107). Gibt es bei einer Steuerhinterziehungstat mehrere Tatbeteiligte und/oder Teilnehmer, so sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 371 AO zum einen für jede Person gesondert möglich und zum anderen auch gesondert zu prüfen. Es kann also durchaus vorkommen, dass die eine Person Straffreiheit für eine Tat erlangt, die andere jedoch (noch) nicht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Selbstanzeige des einen Tatbeteiligten eine Sperrwirkung für den anderen Tatbeteiligten entfalten kann.
Hinweis:
Die Selbstanzeige des einen Tatbeteiligten kann somit grundsätzlich nicht als Selbstanzeige des/der anderen Tatbeteiligten ausgelegt werden. Bei der Erstattung von Selbstanzeigen durch mehrere Tatbeteiligte ist die Vorgehensweise entscheidend.
Es ist statthaft, die Erstattung der Selbstanzeige durch einen bevollmächtigten Vertreter vornehmen zu lassen. Hierzu bedarf es einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zur Vertretung auch in diesen Fällen. Die Selbstanzeige muss beim bevollmächtigten Vertreter folglich vom Steuerhinterzieher persönlich veranlasst worden sein, und zwar vor Erstattung der Selbstanzeige durch den Vertreter.
Beachte:
Eine Genehmigung zur Bevollmächtigung im Nachhinein ist ausgeschlossen und entfaltet keine Rückwirkung. Bei Bekanntwerden einer nachträglichen Genehmigung tritt in diesen Fällen sogar eine Sperrwirkung im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ein, da der zugrunde liegende Sachverhalt und infolgedessen die Tat durch das „unbefugte“ Offenbaren des angeblich zur Selbstanzeige befugten Bevollmächtigten der Finanzbehörde bereits bekannt ist.
Aus diesem Grunde ist in der Praxis ausdrücklich darzulegen, dass die Selbstanzeige in Namen und im Auftrag des Mandanten in seinem ausdrücklichen Willen erstattet wird. In der Regel wird durch einen Vermerk über die tatsächliche Beauftragung zur Anzeigenerstattung, der zu den Akten des Bevollmächtigten genommen wird, der Beweisvorsorge ausreichend Genüge getan.
Da die Selbstanzeige nicht zum Steuerstrafverfahren gehört, sondern das Strafverfahren vielmehr auf der Grundlage der Selbstanzeige erst eingeleitet wird und damit beginnt, findet § 146 StGB mit seinen Regelungen über einen gemeinschaftlichen Verteidiger keine Anwendung. Eine „Mehrfachverteidigung“ durch einen steuerlichen Berater für sämtliche Tatbeteiligte ist daher nicht ausgeschlossen. Sie ist in der Praxis häufig anzutreffen. Es kann für sämtliche Tatbeteiligte durch einen Bevollmächtigten Selbstanzeige erstattet werden, wenn von jedem eine gesonderte Vollmacht hierfür im Vorhinein vorliegt. Etwaige Interessenkollisionen bei einer solchen Konstellation sind notwendigerweise im Vorfeld abzuklären und eventuell auszuräumen.
3. Adressat der Selbstanzeige
Grundsätzlich ist gemäß § 371 Abs. 1 AO die Finanzbehörde der Adressat der Selbstanzeige.
Finanzbehörden sind gemäß § 6 Abs. 2 AO:
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Nr. 1: das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden als oberste Behörden,
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Nr. 2: die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und das Bundesamt für Finanzen als Bundesoberbehörden,
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Nr. 3: Rechenzentren als Landesoberbehörden,
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Nr. 4: die Oberfinanzdirektionen und das Zollkriminalamt als Mittelbehörden,
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Nr. 4a: die nach dem Finanzverwaltungsgesetz oder nach Landesrecht an Stelle einer Oberfinanzdirektion eingerichteten Landesfinanzbehörden,
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Nr. 5: die Hauptzollämter einschließlich ihrer Dienststellen, die Zollfahndungsämter, die Finanzämter und die Landesfinanzbehörden als örtliche Behörden,
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Nr. 6: die Familienkassen,
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Nr. 7: die zentrale Stelle im Sinne des § 81 EStG und
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Nr. 8 die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See/Verwaltungsstelle Cottbus (§ 40a Abs. 6 EStG).
Obwohl nach der herrschenden Meinung bei sämtlichen der oben genannten Stellen als Finanzbehörde rein rechtlich Selbstanzeige erstattet werden kann, so macht es in der Praxis doch recht wenig Sinn, wegen verkürzter Einkommensteuerbeträge z.B. die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein anzuschreiben.
Zuständig für die Besteuerung des in der Selbstanzeige aufgezeigten Lebenssachverhaltes ist das örtlich und sachlich zuständige Finanzamt, bei dem die Besteuerung erfolgt oder die Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden. Insoweit ist in der Praxis, gerade auch wenn Eile z.B. wegen einer bevorstehenden Außenprüfung oder einer vermuteten Steuerfahndungsmaßnahme geboten ist, die Selbstanzeige beim örtlich und sachlich für die Besteuerung zuständigen Finanzamt zu erstatten. Dies muss nicht immer persönlich vor Ort bei der tatsächlich im Finanzamt zuständigen Stelle und beim zuständigen Bearbeiter sein, kann aber in besonderen Fällen sinnvoll sein.
Im Arbeitsablauf der Finanzverwaltung übernimmt die Straf- und Bußgeldsachenstelle des jeweiligen Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung die weitere Bearbeitung der Selbstanzeige. Sie überprüft die rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO und den eventuellen Eintritt der daraus resultierenden strafbefreienden Wirkung (Nr. 11 AStBV (St) 2014). Es wird hierbei insbesondere geprüft, ob
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dem Eintritt der Straffreiheit keine Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 AO entgegenstehen,
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dem Anzeigenerstatter eine strafprozessuale Frist zur Nachzahlung der verkürzten Steuern zu setzen ist,
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die verkürzten Steuern innerhalb der von der Straf- und Bußgeldsachenstelle bestimmten Frist nachentrichtet worden sind (§ 371 Abs. 3 AO),
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die Selbstanzeige vollständig ist.
Die Straf- und Bußgeldsachenstelle prüft also, ob und in welchem Umfang gegen den Anzeigenerstatter straf- oder bußgeldrechtlich vorzugehen ist.
Die steuerliche Auswertung der Selbstanzeige erfolgt sodann in Abstimmung zwischen der Straf- und Bußgeldsachenstelle und der Festsetzungsstelle im örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt.
4. Form der Selbstanzeige
Für die Erstattung der Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben. Es bedarf ferner keines amtlichen Formulars für die Erstattung der Selbstanzeige. Sie kann daher
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mündlich,
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schriftlich,
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schriftlich per FAX,
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fernmündlich oder auch
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per Internet
abgegeben werden. Eine Bezeichnung der Selbstanzeige als solche ist nicht erforderlich. Ferner braucht der Anzeigenerstatter der Selbstanzeige auch nicht von sich aus auf den strafrechtlichen Hintergrund der Selbstanzeige hinzuweisen. Die strafrechtlichen Folgen werden vom Amts wegen von der Straf- und Bußgeldsachenstelle geprüft. Die ausdrückliche Nennung der Vorschrift des § 371 AO oder die Schilderung der Beweggründe wird ebenfalls nicht verlangt. Die Auslegung als Selbstanzeige hat von Amts wegen zu erfolgen. Soweit sich aus dem vorliegenden Schriftstück der Anzeigenerstatter eindeutig identifizieren lässt, ist eine Unterschrift ebenfalls entbehrlich. In der Praxis ist dies jedoch selten zu finden.
Praxistipp:
Da den Steuerpflichtigen keine Verpflichtung zur Bezeichnung als Selbstanzeige oder zum Hinweis auf den strafrechtlichen Charakter seiner Angaben trifft, werden in der Praxis lediglich Mindestangaben zur steuerlichen Auswertung zu finden sein. Bei der derzeit herrschenden Arbeitsbelastung der veranlagenden Stellen in der Landesfinanzverwaltung kann es häufig genug vorkommen, dass eine Weitergabe zur straf- und bußgeldrechtlichen Würdigung unterbleibt und in der Folge der lediglich steuerlichen Auswertung eine Festsetzung von Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO oder die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO nicht vorgenommen bzw. beachtet wird.
In der Praxis kommt es häufig auf die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige an, sodass besonderer Wert auf den Eingang der Selbstanzeige beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt zu legen ist. Für den ordentlichen Nachweis dieses Zeitpunktes bietet sich entweder die persönliche Abgabe der schriftlich formulierten Selbstanzeige oder die schriftliche Einreichung, eventuell per Einschreiben, an.
Hinweis:
Die üblicherweise bewusst unrichtige Zitierung der Vorschrift des § 153 AO über die Berichtigung von Erklärungen zieht nicht notwendigerweise den Ausschluss der Bearbeitung als Selbstanzeige nach sich. Der Unterschied der Berichtigung von Erklärungen nach § 153 AO zur Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO liegt in der Würdigung der Gründe für die unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben oder des pflichtwidrigen Unterlassens von Erklärungen. Ist dies vorsätzlich, grob fahrlässig oder auch leichtfertig erfolgt, so liegt eine Selbstanzeige vor. Ansonsten kann eine Berichtigung nach § 153 AO erfolgen. Eine solche Berichtigung nach § 153 AO hat immer den wesentlichen Vorteil, dass das Fehlverhalten straf- und bußgeldrechtlich nicht gewürdigt wird und auch nicht die Notwendigkeit zur Nachentrichtung der Mehrsteuern zur Erlangung der Straffreiheit besteht. Ebenso sind keine Hinterziehungszinden im Sinne des § 235 AO festzusetzen.
5. Inhalt der Selbstanzeige
Gemäß § 371 Abs. 1 AO müssen mit der Erstattung der Selbstanzeige
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zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart
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in vollem Umfang
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bislang unzutreffende Angaben durch richtige und vollständige Angaben ersetzt,
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unvollständige Angaben ergänzt oder
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unterlassene Angaben nachgeholt werden.
Die in der Selbstanzeige gemachten Angaben müssen in der Regel so ausgestaltet sein, dass das örtlich und sachlich zuständige Finanzamt ohne weitere Ermittlungen in der Lage ist, einen berichtigten Steuerbescheid zu erlassen. Es trifft den Steuerpflichtigen somit die Verpflichtung, die notwendigen Besteuerungsgrundlagen zu liefern. Vergleichbar in der Weise, als würde er erstmalig eine vollständige und richtige Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen einreichen. Die Angaben des Steuerpflichtigen sollten im Rahmen der Selbstanzeige den Anforderungen genügen, die an ihn bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten im Veranlagungsverfahren ebenfalls gestellt worden wären. Es ist jedoch wiederum auch nicht erforderlich, dass die Selbstanzeige so detailliert ist, dass sie in vollem Umfang dem Inhalt einer Steuererklärung entspricht. Das Finanzamt sollte mit den nun angezeigten Angaben ohne schwierige, langfristige Ermittlungen den Sachverhalt aufklären und den ursprünglichen Steuerbescheid berichtigen bzw. zutreffende Steuerbescheide erlassen können. Die Maßstäbe, die das Finanzamt an die Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen nach Erstattung der Selbstanzeige stellt, dürfen jetzt jedoch nicht strenger als im ursprünglichen Veranlagungsverfahren sein. Sämtliche für die Überprüfung der Vollständigkeit der Selbstanzeige notwendigen Unterlagen sind vom Anzeigenerstatter der Selbstanzeige bestenfalls sofort bezufügen, ansonsten aber zeitnah zu beschaffen und einzureichen.
Hinweis:
Die bloße Ankündigung einer Selbstanzeige mit dem Inhalt, man beabsichtige in naher Zukunft eine Selbstanzeige einzureichen, oder die Äußerung, eine eingereichte Steuererklärung sei falsch, stellt keine Selbstanzeige im Rechtssinne dar. Die in der Praxis häufiger als angenommen vorkommende anonyme Zahlung hinterzogener Steuern erleichtert vielleicht das Gewissen des potentiellen Steuerhinterziehers, stellt aber ebenfalls keine Selbstanzeige dar.
Mit der Neufassung des Selbstanzeigerechts durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) vom 28.04.2011 (BGBl 2011 I Nr. 19, 676 ff.) ist mit Wirkung vom 03.05.2011 (Tag nach der Verkündung) die Möglichkeit einer sogenannten gestuften Selbstanzeige (Stufen-Selbstanzeige) nicht mehr gegeben.
Eine gestufte Selbstanzeige kam früher immer dann in Betracht, wenn z.B. bei der Erstattung der Selbstanzeige aus Zeitgründen Eilbedürftigkeit bestand, aber der Inhalt der Selbstanzeige mit der Angabe der tatsächlich zugrundezulegenden Besteuerungsgrundlagen noch nicht vollständig und richtig genannt werden konnte. Der Steuerpflichtige konnte in solchen Fällen angeben, grundsätzlich Steuern hinterzogen zu haben und gleichzeitig mitteilen, dass er zur Vervollständigung und weiteren Bearbeitung der Selbstanzeige die vollständigen und richtigen Zahlen erst zu einem späteren Zeitpunkt liefern kann.
Nach dem Wortlaut des § 371 AO in der neuen Fassung muss der Anzeigende nunmehr zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigen, die unvollständigen Angaben ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachholen.
Sollte die Finanzbehörde zur weiteren Bearbeitung der Selbstanzeige ältere Steuerakten oder andere zur Auskunft verpflichtete Stellen im Wege der Amtshilfe hinzuziehen müssen, so ist dies unschädlich für die Folgen der Selbstanzeige. Die Maßstäbe, inwiefern die Finanzbehörde mit den in der Selbstanzeige gemachten Angaben ohne schwierige, langfristige Ermittlungen den Sachverhalt aufklären und den ursprünglichen Steuerbescheid berichtigen bzw. zutreffende Steuerbescheide erlassen kann, unterliegen der Würdigung des Einzelfalles.
Der Inhalt der Selbstanzeige bezieht sich nicht nur auf die Korrektur der unrichtigen, unvollständigen, unterlassenen Angaben, sondern vielmehr auch auf die Art und Weise der Tathandlung im Sinne des § 370 AO, soweit diese Angaben zur zutreffenden Besteuerung erforderlich sind (z.B. Schwarzeinnahmen aus Schwarzeinkäufen). Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Anzeigenerstatter Beihilfe zur Tat eines Anderen geleistet hat oder zur Tat eines Anderen angestiftet hat (Teilnahmehandlung). Hier ist der Täter und die Art und Weise der Tathandlung für die zutreffende Steuerfestsetzung von entscheidender Bedeutung. In diesen Fällen können jedoch im Rahmen einer wirksamen Selbstanzeige nur die Angaben verlangt werden, von denen er auch tatsächlich Kenntnis besitzt (z.B. Beihilfe zur Verkürzung von Betriebseinnahmen bei fehlender Kenntnis von Lohnsteuerverkürzungen).
Hinweis:
Stellt der Täter einer Steuerstraftat eine Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO und wird diese von den Strafverfolgungsbehörden steuerstrafrechtlich auch als wirksame Selbstanzeige behandelt, so schließt dies eine weitere Strafverfolgung für den Fall, dass sich im Nachhinein die Unvollständigkeit der Selbstanzeige herausstellt, nicht aus. Hierbei ist jedoch aufgrund des zeitlichen Vorlaufs eine strafrechtliche Verfolgungsverjährung im Sinne der §§ 78 – 78c StGB zu beachten.
Gleiches gilt nach dem Willen des Gesetzgebers wohl auch für den Fall, dass die Unvollständigkeit einer früheren Selbstanzeige auf der Grundlage einer erneuten Selbstanzeige angezeigt wird. Hierfür ist es unerheblich, ob die erneute Selbstanzeige auf den Angaben desselben Täters/Teilnehmers oder aber auf den Angaben eines weiteren Täters/Teilnehmers beruht. Auch hier kann die Strafverfolgungsbehörde die Strafverfolgung unter Beachtung der Strafverfolgungsverjährung erneut aufnehmen.
6. Teilselbstanzeige nicht mehr möglich
Nach dem neuen Gesetzestext des § 371 AO wird derjenige wegen der offenbarten Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft, wenn er zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt.
Die frühere Formulierung des Gesetzestextes, nach der der Täter einer Steuerstraftat nur insoweit straffrei gestellt wurde, als der Inhalt seiner Nacherklärung zur Aufklärung des Sachverhaltes und somit zur zutreffenden Steuerfestsetzung reicht, ist mit der Neuregelung des Selbstanzeigerechts entfallen. Die dahingehende frühere Rechtsprechung ist mit der Neuregelung des Selbstanzeigerechts überholt.
Es ist für die strafbefreiende Wirkung ferner unbeachtlich, ob der Täter unabsichtlich oder absichtlich keine vollständige Sachverhaltsaufklärung liefert. Da sich der Täter in beiden Fällen nicht in vollem Umfang vollständig erklärt hat, entfaltet die eingereichte Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung im Sinne des neugefassten § 371 AO. Sogenannte Teilselbstanzeigen sind damit nicht mehr möglich.
7. Vollständigkeit der Selbstanzeige
7.1 Erklärungsumfang
Um das Ziel der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige zu erreichen, werden mit der Neuregelung des Selbstanzeigerechts nunmehr berichtigte, ergänzte bzw. nachgeholte Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang verlangt.
Eine Selbstanzeige ist nach dem Willen des Gesetzgebers immer dann als vollständig anzusehen, wenn im Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige alle Besteuerungsgrundlagen einer Steuerart für alle steuerstrafrechtlich noch nicht verjährten Steuerstraftaten nacherklärt worden sind. Anknüpfungspunkt für den strafrechtlich noch nicht verjährten Zeitraum ist nach Nr. 11 AStBV (St) 2014 die materielle Tat, die durch Steuerart und Besteuerungszeitraum bestimmt wird, sowie die sich daraus ergebende einzelne hinterzogene Steuerverkürzung im Sinne des § 370 Abs. 4 S. 1 AO.
Hinweis:
Hat der Steuerpflichtige im noch nicht strafverfolgungsverjährten Zeitraum bereits für einen Veranlagungszeitraum einer Steuerart eine (Teil-)Selbstanzeige nach altem Recht eingelegt, so schließt diese Selbstanzeige eine weitere Selbstanzeige zu allen unverjährten Steuerstraftaten derselben Steuerart aus. In diesen Fällen wird, eventuell auch gerade auf der Grundlage der unwirksamen erneuten Selbstanzeige, der komplette Steuerfall zur Steuerart wieder aufgenommen.
Nachfragen und Anforderungen der Finanzbehörden zur Überprüfung der im Selbstanzeigeverfahren offenbarten steuerlich erheblichen Tatsachen sind immer dann solange unschädlich für die Wirksamkeit der Selbstanzeige, solange der Anzeigenerstatter den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt und die daraus resultierenden Besteuerungsgrundlagen grundsätzlich vollständig mitgeteilt hat und die sich noch ergebenden Ungereimtheiten in angemessener Frist vom Anzeigenerstetter beantwortet bzw. aufgeklärt werden.
7.2 Geringsfügige Abweichungen
In der ersten Zeit nach Verkündung der Neuregelung wurde kontrovers diskutiert, ob bei einer nur geringen Abweichung zwischen der Steuer aus der Nacherklärung und der späteren tatsächlichen Steuer noch eine strafbefreiende Wirkung in vollem Umfange eintreten kann.
Der BGH hat nunmehr entschieden, dass eine Abweichung von mehr als 5 v.H. des Verkürzungsbetrags nicht mehr als geringfügig anzusehen und damit schädlich für eine strabefreiende Wirkung der Selbstanzeige ist (BGH 25.07.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249). Diese Grenze ist jedoch nicht als absolut anzusehen, sondern für die Entscheidung über eine unschädliche geringfügige Abweichung ist eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Der Senat des BGH hat hierzu u.a. ausgeführt, „dass nach der neuen Gesetzesfassung des § 371 Abs. 1 AO, die für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige eine Berichtigung bzw. Nacherklärung „in vollem Umfang“ verlangt, jedenfalls eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als fünf Prozent vom Verkürzungsbetrag i.S.d. § 370 Abs. 4 AO nicht mehr geringfügig ist. Allerdings führt nicht jede Abweichung unterhalb dieser (relativen) Grenze stets zur Annahme einer unschädlichen „geringfügigen Differenz“. Vielmehr ist – in diesen Fällen – eine Bewertung vorzunehmen, ob die inhaltlichen Abweichungen vom gesetzlich vorausgesetzten Inhalt einer vollständigen Selbstanzeige noch als „geringfügig“ einzustufen sind. Diese wertende Betrachtung kann auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Umstände bei Abgabe der Selbstanzeige auch unterhalb der Abweichungsgrenze von fünf Prozent die Versagung der Strafbefreiung rechtfertigen. Bei dieser Bewertung spielen neben der relativen Größe der Abweichungen im Hinblick auf den Verkürzungsumfang insbesondere auch die Umstände eine Rolle, die zu den Abweichungen geführt haben. Namentlich ist in die Würdigung mit einzubeziehen, ob es sich um bewusste Abweichungen handelt oder ob – etwa bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen – in der Selbstanzeige trotz der vorhandenen Abweichungen noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann, denn gerade diese soll durch die Strafaufhebung gemäß § 371 AO honoriert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 181, Rn. 7 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 17/4182 S. 4, BR-Drucks. 851/10 S. 4).
Beispiel:
Bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2009 hat der Steuerpflichtige seine Einkünfte aus ausländischen Kapitalvermögen nicht vollständig erklärt. Die festzusetzende Einkommensteuer beträgt 10.000 EUR. Im Rahmen einer ansonsten wirksam eingereichten Selbstanzeige erkärt er undolos (unabsichtlich) fehlerhaft die tatsächlichen Einnahmen aus ausländischem Kapitalvermögen um 1.000 EUR zu niedrig an. Die auf der Grundlage der mit der Selbstanzeige offenbarten Angaben festgesetzte Einkommensteuer beträgt 15.000 EUR und wurde aufgrund der undolos fehlerhaften Angaben um 100 EUR zu niedrig festgesetzt.
Die Abweichung beträgt in ihrer Auswirkung weniger als 5 v.H. vom Verkürzungsbetrag im Sinne des § 370 Abs. 4 AO und ist damit als geringfügig und unschädlich für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige anzusehen.
Dabei ist die 5 v.H.-Grenze nicht auf die einzelne Tat anzuwenden, sondern bezieht sich auf den Gesamtumfang der offenbarten Steuerverkürzungen im Sinne des § 370 Abs. 4 S. 1 AO zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart. Somit sind Kompensationen zwischen den einzelnen Besteuerungszeiträumen durchaus möglich.
Beispiel:
Der Steuerpflichtige offenbart in seiner Selbstanzeige nicht erklärte Einnahmen aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume 2008, 2009 und 2010. Die ansonsten wirksam eingereichte Selbstanzeige führt zu einer Steuerverkürzung bei der festzusetzenden Einkommensteuer in Höhe von 5.000 EUR. Dabei entfallen auf 2008 2.000 EUR und auf die Jahre 2009 und 2010 jeweils 1.500 EUR. Die Angaben des Anzeigenerstatters waren jedoch undolos fehlerhaft. Diese fehlerhaften Abweichungen vom vollem Umfang führten im Kalenderjahr 2008 zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung in Höhe von 75 EUR und für das Kalenderjahr 2009 in Höhe von 120 EUR.
Zwar übersteigt hier der undolos fehlerhafte Betrag den Verkürzungsbetrag für den Veranlagungszeitraum 2009 um mehr als 5 v.H., in der Gesamtbetrachtung der offenbarten Steuerstraftaten einer Steuerart bleibt die Abweichung jedoch unter 5 v.H. vom Gesamt-Verkürzungsbetrag. Sie ist somit als geringfügig anzusehen und unschädlich für die Wirksamkeit der Selbstanzeige.
Im Rahmen der wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist ferner von maßgeblicher Bedeutung, ob der Täter den wesentlichen Beitrag zur korrekten Steuerfestsetzung nach Kräften geleistet hat (sogenannte undolose Abweichungen) oder ob die Abweichung vom vollen Umfang bewusst vorgenommen worden ist (sogenannte dolose Abweichungen).
Zwar hat der Gesetgeber nach dem Wortlaut des Gesetzestextes wohl bewusst auf eine subjektive Komponente beim Erklärungsumfang der Selbstanzeige verzichtet, jedoch sieht der BGH in der bewussten Vornahme von Abweichungen keine unschädliche Geringfügigkeit. Dolose Abweichungen sind somit unabhängig der vorgenannten Prozentgrenze schädlich für die Wirksamkeit der Selbstanzeige, da in ihnen nicht der vom Gesetzgeber bezweckte Wille von der vollständigen Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zum Ausdruck kommt.
Hinweis:
Erklärt der Steuerpflichtige im Rahmen der Einkommensteuererklärung für einen Veranlagungszeitraum Zinsen nach, so ist darauf zu achten, ob der Kapitalstamm, der zu den nacherklärten Zinseinnahmen führt, auch im vorangegangenen Jahr zu Zinsen geführt hat, die zu besteuern gewesen wären. In solchen Fällen ist es durchaus möglich, dass der Steuerpflichtige aufgrund seiner Selbstanzeige für den angezeigten Veranlagungszeitraum straffrei ausgeht, aber nach straf- und bußgeldrechtlicher Auswertung der Selbstanzeige ein Strafverfahren für das vorangegangene Kalenderjahr oder sogar noch weitere Jahre eingeleitet und bekanntgegeben wird. Dann ist eine Selbstanzeige aufgrund der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit (für die weiteren Jahre) nicht mehr möglich.
7.3 Zweifelsfragen der Praxis
7.3.1 Vollständigkeit bei der Nichtabgabe von Steuererklärungen
In der Praxis stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt die Frage nach der Vollständigkeit einer Selbstanzeige nach § 371 AO n.F. für den Fall, dass der Steuerpflichtige in Kenntnis seiner Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen über einen fortgesetzten Zeitraum pflichtwidrig keine Steuererklärungen eingereicht hat und nunmehr mit der Abgabe der ausstehenden Steuererklärungen zur Steuerehrlichkeit zurückkehren möchte.
Beispiel:
Der Steuerpflichtige reicht die die Einkommensteuer- und die Gewerbesteuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2011 im Rahmen einer Selbstanzeige im Kalenderjahr 2014 nach. Die Einkommensteuer- und die Gewerbesteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2012 und 2013 werden (noch) nicht eingereicht.
Zunächst stellt die Nichtabgabe von Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2011 eine Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, wenn der Steuerpflichtige die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tasachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern im Sinne des § 370 Abs. 4 S. 1 AO verkürzt. Die Nichtabgabe der Steuererklärungen für 2012 und 2013 befindet sich als Steuerstraftat mit Ablauf der individuellen Abgabefrist im Versuchsstadium. Der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar nach § 370 Abs. 2 AO. § 371 AO ist ebenfalls auf die versuchte Steuerhinterziehung anzuwenden. Die Selbstanzeige wäre vollständig, wenn der Steuerpflichtige 6 Steuererklärungen vorgelegt hätte.
Reicht der Steuerpflichtige Steuererklärungen für den ersten Veranlagungszeitraum des Zeitraums ein, für den die Erklärungen noch ausstehen, so stellt dies zunächst grundsätzlich eine Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO dar. Der Steuerpflichtige hat mit der verspäteten Abgabe der Steuererklärungen seine unterlassenen Angaben nachgeholt.
Gemäß § 371 Abs. 1 O wird jedoch nur derjenige nicht wegen dieser Steuerstraftaten nach § 370 AO bestraft, der gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unterlassenen Angaben nachholt.
Da der Steuerpflichtige zwar für den ersten Veranlagungszeitraum Steuererklärungen eingereicht hat, für die folgenden Veranlagungszeiträume die Steuererklärungen jedoch weiterhin ausstehen, stellt sich in diesen Fällen die Frage nach der Vollständigkeit der Selbstanzeige und damit nach deren Wirksamkeit, da nicht zu allen unverjährten Steuererstraftaten einer Steuerart die Steuererklärungen eingereicht worden sind.
Dieser Sachverhalt war mit dem Wortlaut des § 371 AO alter Fassung eindeutig zu lösen, da der Anzeigenerstetter insoweit nicht nach § 370 AO bestraft wurde.
In Ermangelung einer einschlägigen Rechtsprechung zum derzeitigen Zeitpunkt findet sich in der Praxis der Selbstanzeigeverfahren keine eindeutige Regelung dieser Fallgestaltung.
Anhänger der reinen Rechtslehre sehen in der Abgabe der Steuererklärungen eine unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige im Sinne der Neuregelung des § 371 AO, da die Steuererklärungen der Folgejahre weiterhin ausstehen und somit nicht für alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerstraftat in vollem Umfang die unterlassenen Angaben nachgeholt worden sind. Diese verschärfte Auslegung hätte zur Folge, dass für die offenbarten Verablagungszeiträume keine Straffreiheit im Sinne des § 371 AO n.F. eintreten würde und eine Selbstanzeige für die Folgejahre gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ausgeschlossen wäre.
Einige Finanzbehörden legen den neuen § 371 AO jedoch dahingehend aus, dass dem selbstanzeigewilligen Steuerpflichtigen in solchen Nichtabgabefällen die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit vollumfänglich ermöglicht werden soll, indem die Gelegenheit zur Nachreichung der noch ausstehenden Steuererklärung(en) zur Vervollständigung der Selbstanzeige und damit auch deren Wirksamkeit gegeben werden kann. Nach deren Auffassung ist diese Verfahrensweise allein schon vor dem Hintergrund einer Gleichbehandlung von steuerlich beratenen und steuerlich nicht beratenen (und mit der Neuregelung des § 371 AO nicht vertrauten) Steuerpflichtigen geboten. Diese Strafverfolgungsbehörden werden dem selbstanzeigewilligen Steuerpflichtigen die Aufforderung zukommen lassen, durch die Nachreichung der Steuererklärungen die Selbstanzeige zu vervollständigen. Reicht der Steuerpflichtige innerhalb der ihm gewährten und angemessen bemessenen Frist die ausstehenden Steuererklärungen dann nicht ein, so ist die Selbstanzeige insgesamt für alle unverjährten Steuerstrafarten der Steuerart unvollständig und damit unwirksam.
Für die Beurteilung dieser Nichtabgabefälle im Selbstanzeigeverfahren ist eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO vor Erreichen des sogenannten 95%-Zeitpunkts unerheblich, da der Versuch im Sinne des § 370 Abs. 2 AO bereits mit Ablauf der Abgabefrist erfolgt. Die Festsetzung der Steuer im Schätzungswege bewirkt lediglich, dass die Steuerhinterziehung bis zur Höhe des geschätzten Betrages im Versuchsstadium verbleibt. Darüberhinaus gehende Beträge stellen eine vollendete Steuerhinterziehung dar. Erreicht der tatsächlich aufgrund der eingereichten Steuererklärungen festgesetzte Steuerbetrag nicht den Schätzbetrag, so verbleibt es insgesamt beim strafbaren Versuch der Steuerhinterziehung.
Hinweis:
Bei Sachverhalten mit Steuerstraftaten im Versuchsstadium bleibt neben der Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO auch weiterhin noch die Möglichkeit des Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 StGB zu beachten, da nach herrschender Meinung beide Rechtsvorschriften nebeneinander anwendbar sind. Das bedeutet, dass eine unvollständige Steuererklärung zwar schädlich für die Wirksamkeit der Selbstanzeige zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerstraftat sein kann, sind Teile der unverjährten Steuerstraftaften einer Steuerart jedoch noch im Versuchtsstadium, so stellt diese Steuererklärung sodann einen straflosen Rücktritt vom Versuch dar.
Beachte:
Bei der Umsatzsteuer gibt es in den Fällen der Nichtabgabe von Steueranmeldungen/-erklärungen kein Versuchsstadium. Sowohl die Steuerhinterziehung bei der Jahreserklärung als auch bei den Voranmeldungen zur Umsatzsteuer werden mit Fristablauf vollendet.
7.3.2 Steueranmeldungen/-erklärungen zur Umsatzsteuer
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der selbstanzeigewillige Steuerstraftäter zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang richtige Angaben machen oder unterlassse Angaben nachholen.
Im Rahmen der Umsatzsteuer sind durch das Voranmeldungssystem und die abschließende Jahressteuererklärung grundsätzlich 13 Taten möglich. Es stellt sich in der Praxis die Frage, ob eine vollständig eingereichte Jahressteuererklärung zur Umsatzsteuer auch strafbefreiende Wirkung auf zuvor im Rahmen der Voranmeldungszeiträume bewirkte Steuerstraftaten (Nichtabgabe/Abgabe unrichtiger Anmeldungen) entfaltet.
Auch hier gehen die Meinungen in der Finanzverwaltung derzeit noch auseinander.
Während die Anhänger der reinen Rechtslehre in der Abgabe der Jahressteuererklärung eine unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige im Sinne der Neuregelung des § 371 AO sehen, da die Steueranmeldungen für die betreffenden Voranmeldungszeiträume nicht mit der Selbstanzeige erfasst und somit nicht für alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unterlassenen Angaben nachgeholt worden sind. Auch hier hätte diese verschärfte Auslegung zur Folge, dass für die offenbarte Jahressteuererklärung keine Straffreiheit im Sinne des § 371 AO n.F. eintreten würde und eine Selbstanzeige für die Voranmeldungszeiträume gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ausgeschlossen wäre.
Der weitaus überwiegende Teil der Finanzbehörde praktiziert jedoch die Vorgehensweise, dass mit Eingang der vollständigen Jahressteuererklärung keine gesonderte Korrektur des jeweiligen Voranmeldungszeitraums für die Wirksamkeit der Selbstanzeige nötig ist und somit insgesamt Straffreiheit erlangt werden kann.
Berichtigt der selbstanzeigewillige Steuerpflichtige hingegen eine Steueranmeldung zur Umsatzsteuer und ist diese gleichwohl fehlerbehaftet und damit unvollständig, so kann diese unwirksame (Teil-)Selbstanzeige nicht durch die Abgabe einer vollständigen und fehlerfreien Jahresssteuererklärung geheilt werden.