Human Resource Accounting

1. Überblick

Es besteht heute wohl kaum noch ein Zweifel daran, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens einen maßgeblichen Erfolgsfaktor darstellen. Denn während die Bedeutung traditioneller Vermögenswerte in unserer so genannten Wissensgesellschaft (Wissensmanagement) für immer mehr Firmen sinkt, gewinnen andere Ressourcen zunehmend an Relevanz für den Unternehmenswert (Shareholder Value-Ansatz).

Insbesondere im Dienstleistungsbereich wird seit langem akzeptiert, dass die Mitarbeiter mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten den Unternehmenserfolg maßgeblich determinieren.

Bedingt durch diese Entwicklungen ist es nicht verwunderlich, dass vor allem im Rahmen von Unternehmensbewertung (Unternehmensbewertung), aber auch im Kontext der externen Rechnungslegung (Jahresabschluss), zunehmend eine rechnerische Abbildung des Humanvermögens gefordert wird. Zugleich sind die Konzepte des so genannten Human Resource Accounting (HRA) im angloamerikanischen, aber auch im skandinavischen Raum wieder aufgegriffen und methodisch weiterentwickelt worden.

Hinweis:

In der Literatur ist der Begriff „Humankapital“ nicht eindeutig definiert. Vielmehr wird er in vielen unterschiedlichen Ausprägungen genutzt. Eine allgemein gehaltene Definition des Begriffs „Humankapital“ stammt von Schultz, der darunter alle Kenntnisse und Fähigkeiten einer bestimmten Gruppe von Personen oder einer einzelnen Person mit ökonomischem Wert versteht.

Darüber hinaus werden – weitgehend synonym – die Begriffe „Humanvermögen“, „Human Resources“ und „Human Assets“ verwendet. Neben diesen Begriffen für die Beschreibung des Humankapitals finden sich angrenzende Begriffe, die man teilweise dem Humankapital zurechnet, die bisweilen aber auch darüber hinausgehen. Hierzu zählen z. B. „Wissenskapital“, „intellektuelles Kapital“ oder „Intangibles“.

Interessanterweise hat das Human Resource Accounting seine ersten Ursprünge bereits in der Nationalökonomie des 17. Jahrhunderts. So unternahm bereits Sir William Petty in seinem erstmals 1676 erschienenen Buch „Political Arithmetick“ den Versuch, den Wert des Humankapitals Großbritanniens zu berechnen. Damals lag das Ziel derartiger Berechnungen darin, den Verlust einer Volkswirtschaft durch Abwanderungen oder aber auch durch Kriege monetär zu ermitteln.

In seinem aktuellen Gebrauch wurde der Begriff Human Resource Accounting 1968 im angloamerikanischen Raum eingeführt. Bis Anfang der 70er Jahre entstanden aus den Konzepten der Humankapitaltheorie und der Organisationspsychologie verschiedenartige neue Methoden zur Messung des Humanvermögens, die bis in die Mitte der 70er Jahre auch in verschiedensten Unternehmen implementiert wurden.

Das Interesse an Human Resource Accounting ließ wegen unüberbrückbarer Probleme bei der Datenbeschaffung und -verarbeitung sowie der Komplexität (Komplexitätskosten) der Verfahren nach, zumal auch nur wenige Spezialisten in der Lage waren, derartige Systeme zu entwickeln.

Auf die Agenda kam das Human Resource Accounting erst wieder, als sich speziell die US-amerikanischen Unternehmen in immer größerem Konkurrenzdruck zu den japanischen Großunternehmen befanden. Die Produktivitätsvorsprünge der japanischen Unternehmen wurden mit deren konsequenter Sicherung des Humankapitals erklärt, dem die amerikanische „Hire and fire-Philosophie“ kaum etwas entgegenzusetzen hatte.

Die Notwendigkeit, solche „versteckten Werte“ auch in das Berichtswesen aufzunehmen, entstand jedoch erst durch die wachsende Lücke zwischen Markt- und Buchwerten vieler Unternehmen (Unternehmensbewertung, Due Diligence). So pendelte das Verhältnis von Markt- zu Buchwerten über Jahrzehnte hinweg grob zwischen 1 und 2. Mit Beginn der 90er Jahre begann sich dieses Verhältnis aber drastisch zu ändern, was insbesondere durch den Umstand zu erklären ist, dass immer größere Vermögensanteile nicht im Buchwert enthalten sind.

Genau hier setzt das Human Resource Accounting an, denn ein entsprechend ausgestaltetes Human Resource Accounting-System stellt Informationen über den Wert des Humanvermögens (Information, Informationsbedarf, Informationsbewertung) und damit über einen Teil der Differenz zwischen Markt- und Buchwert zur Verfügung.

2. Methoden des Human Resource Accounting

Die Vielzahl der bislang entwickelten Methoden des Human Resource Accounting lässt sich für einen Überblick anhand von zwei Merkmalen klassifizieren (vgl. Abbildung):

  • Nach dem Bewertungsobjekt kann sich das Human Resource Accounting-Rechenwerk auf einzelne Individuen oder aber auf homogene Gruppen von Personen und damit Personenmehrheiten beziehen.

  • Nach der Ergebnisdimension liefert das Human Resource Accounting-Rechenwerk entweder monetäre Informationen zum Wert des Humanvermögens oder aber nichtmonetäre Größen (etwa Punktwerte) zur Beschreibung der Humanressourcen.

Hinweis:

Nichtmonetäre Verfahren sind hinsichtlich weiterführender Ergebnisinterpretationen mitunter mit Problemen behaftet. Während sich monetäre Ergebnisse vergleichsweise einfach interpretieren lassen, ist bei nichtmonetären Ergebnissen eine zusätzliche Beschäftigung mit den verwendeten Skalen erforderlich. Zudem ist die Vergleichbarkeit zu anderen Verfahren sehr eingeschränkt, wenn nicht sogar unmöglich.

Bei den monetären Human Resource Accounting-Verfahren wird weiterhin zwischen kostenbasierten und wertbasierten Methoden unterschieden. Kostenbasierte Verfahren verwenden Größen wie Kosten, Aufwand, Ausgaben oder Auszahlungen zur Bestimmung des Humankapitals. Demgegenüber stellen die wertbasierten Verfahren auf den Nutzen ab, der vom Humankapital ausgeht, das heißt, sie orientieren sich an den bewerteten Leistungsbeiträgen.

2.1 Kostenbasiertes Human Resource Accounting

Angesichts der großen Anzahl von kostenbasierten Human Resource Accounting-Methoden sollen diese exemplarisch anhand des Verfahrens der Historischen Anschaffungskosten (Original Costs) dargestellt werden.

Ausgangspunkt der Berechnung sind beim Verfahren der Historischen Anschaffungskosten die tatsächlich zum Bezugspunkt für die Humanressourcen angefallenen Kosten. Differenziert wird bei dieser Methode zwischen den Akquisitions- und Lernkosten (Personalkosten), wobei sowohl direkt anfallende als auch indirekte Kosten berücksichtigt werden.

Wie aus der folgenden Abbildung hervorgeht, werden alle einschlägigen Kosten von den Bereichen des Recruitment (z. B. Stellenanzeigen) über die Weiterbildungsaktivitäten (Weiterbildungskosten) bis hin zu Produktivitätsverringerungen während der Trainingsphasen zusammengestellt. Der Wert des Humankapitals ergibt sich dann aus der Summe aller Kosten über die Gesamtheit der Mitarbeiter.

Im Wesentlichen zielt das Verfahren darauf ab, Informationen als Entscheidungsgrundlage für Investitionen in das Humankapital sowie die Bewertung des vorhandenen Humanvermögens und dessen Nutzbarmachung zu gewinnen. Der Ansatz beruht auf der Auffassung, dass man die im Personalbereich anfallenden Kosten als Investition in einen Vermögenswert interpretieren kann.

Daher sollen die Entscheidungsträger zum einen für Investitionsentscheidungen in das Humankapital des Personalbereichs mit Informationen darüber versorgt werden, welche Kosten für die Akquise von Personal unterschiedlicher Hierarchieebenen üblicherweise anfallen (Personalkosten). Zum anderen sind die Entscheidungsträger über mögliche Kosten bei der Personalersatzinvestition zu informieren.

Davon abgesehen gehen alle Verfechter dieses Human Resource Accounting-Ansatzes davon aus, dass die gewonnenen Informationen eine wichtige Hilfe bei Entscheidungen über Unternehmenskäufe oder Fusionen darstellen (Akquisitionsplanung, Fusion).

2.2 Wertbasiertes Human Resource Accounting

Sind schon die Methoden des kostenbasierten Human Resource Accounting äußerst zahlreich, so ist dennoch die Auswahlmöglichkeit zwischen den wertbasierten Ansätzen sogar noch größer.

Alle wertbasierten Methoden gehen von der Vorstellung aus, dass die Abbildung von Vermögenswerten nicht allein an den damit verbundenen Kosten festgemacht werden kann. Als ausschlaggebend für den Wert des Humankapitals stellen sie vielmehr auf die zukünftig zu erwartenden Nutzenbeiträge ab.

Stellvertretend für die wertbasierten Human Resource Accounting-Methoden wird hier das Modell der zukünftigen Leistungsbeiträge mit Hierarchieebenen (Stochastic Rewards Valuation Model) vorgestellt.

Die Ermittlung des Humanvermögens erfolgt beim Stochastic Rewards Valuation Model anhand eines fünfstufigen Prozesses:

  1. Im ersten Schritt sind für jeden Mitarbeiter die potenziell von ihm in der Zukunft zu besetzenden Hierarchieebenen festzustellen.

  2. Anschließend ist zu ermitteln, welche Leistungsbeiträge der Mitarbeiter bei seinen Tätigkeiten/Dienstleistungen auf den einzelnen Hierarchieebenen für die Gesamtleistung des Unternehmens potenziell erbringen wird.

  3. Dann sind im nächsten Schritt die Verweildauern für jeden Mitarbeiter auf seinen zukünftigen Hierarchieebenen zu schätzen.

  4. Daraufhin sind die unterschiedlichen Karrierewege und die Verweildauern eines Mitarbeiters auf den einzelnen Hierarchiestufen mit Wahrscheinlichkeiten zu belegen.

  5. Schließlich sind die Einzelwerte zu summieren, sodass sich der individuelle Wert eines Mitarbeiters für das Unternehmen ergibt.

Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass es sich konsequent an zukünftigen Wertgrößen orientiert. Allerdings führt eine derartige Ausrichtung dazu, dass zur Wertermittlung sehr viele Daten prognostiziert werden müssen. Während die Schätzung monetärer Größenordnungen von Leistungseinheiten eines Mitarbeiters – zumindest beim Vorhandensein von Marktpreisen für die jeweiligen Dienstleistungen – noch machbar zu sein scheint, dürfte die Prognose kompletter Karrierewege aber mit erheblichen Problemen behaftet sein.

Diese Prognoseprobleme konnten bisher auch noch nicht gelöst werden und ein allgemein gültiges Konzept wird sich nur schwerlich finden lassen. Daher ist das Verfahren des Stochastic Rewards Valuation Model lediglich prototypisch zum Einsatz gekommen. Auf aktuellem Entwicklungsstand ist eine Verbreitung eher unwahrscheinlich.

3. Mögliche Probleme beim Human Resource Accounting

3.1 Das Auswahlproblem

Das erste Problem bei einer Human Resource Accounting-Implementierung besteht bereits darin, aus der Vielzahl von unterschiedlichen Methoden zur Bewertung des Humanvermögens die richtige Methode auszuwählen. Da es keine allgemein gültigen Aussagen zur Vorteilhaftigkeit einzelner Verfahren gibt, kommt es insbesondere darauf an, den Rechnungszweck, der mit der Bewertung des Humanvermögens verfolgt wird, in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.

Dabei bietet die Betrachtung entlang zweier Dimensionen bei der Auswahl der Methoden eine erste Orientierung:

  • Die eine Dimension bezieht sich auf die Regelmäßigkeit, mit der das Human Resource Accounting durchgeführt werden soll. So kann das Verfahren nur für einen bestimmten eher singulären Anlass zur Hilfe genommen werden, etwa im Rahmen bevorstehender Unternehmensakquisitionen oder Fusionen. Es lässt sich aber auch als laufende Rechnung implementieren.

  • Die zweite Dimension betrifft die Adressaten. Denn das Human Resource Accounting kann zum einen als Instrument des internen Rechnungswesens zum Einsatz kommen, andererseits aber auch Ergebnisse für die externe Rechnungslegung generieren.

Für das externe Rechnungswesen (Kostenrechnung) sind kostenbasierte Verfahren in der Regel geeigneter, da diese Methoden die Investitionen in das Humanvermögen ähnlich bewerten wie Investitionen in das Sach- und Finanzvermögen. Hierdurch werden externe Adressaten die Ergebnisse wahrscheinlich eher akzeptieren und nachvollziehen können. Demgegenüber können wertbasierte Verfahren viele entscheidungsrelevante Informationen für das Management liefern und somit als Komponente des internen Rechnungswesens geeigneter sein als die kostenbasierten Ansätze.

Bei der Auswahl entsprechender Systeme ist insbesondere zu berücksichtigen, dass kostenbasierte Verfahren tendenziell mit weniger Aufwand verbunden sind und sich damit für eine Implementierung als laufende Rechnung eher eignen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der höhere Aufwand wertbasierter Verfahren für spezielle Anlässe nicht gerechtfertigt sein kann.

3.2 Das Akzeptanzproblem

Das Akzeptanzproblem beim Human Resource Accounting bezieht sich auf zwei Problembereiche, die mit der Implementierung entsprechender Systeme verbunden sind:

  1. Das Vorhaben, Humanressourcen zu bewerten, wirft zum einen nicht selten eine Reihe von Fragen mit moralischem Charakter auf. So wird häufig die Befürchtung geäußert, dass die Organisationsmitglieder durch die Bewertung als Eigentum des Unternehmens angesehen werden. Ferner taucht im Zusammenhang mit der Implementierung von Human Resource Accounting fast immer die Furcht vor der Entstehung „gläserner Mitarbeiter“ auf.

    Diese Gründe führen in der Regel zunächst dazu, dass der Bewertung der Humanressourcen von den Mitarbeitern selbst sowie deren Vertretern (Gewerkschaften und Betriebsräten) Widerstand entgegengebracht wird.

    Diesen Vorbehalten kann man nur durch erhöhte Kommunikationsanstrengungen entgegentreten und aufzeigen, wie sich der Einsatz von Human Resource Accounting auf die Mitarbeiter und andere Anspruchsgruppen auswirkt.

  2. Um ein HRA-Rechenwerk erfolgreich einführen zu können, sind speziell diejenigen von der Vorteilhaftigkeit des Systems zu überzeugen, die für die Generierung der zu verarbeitenden Daten verantwortlich sind. Viele Erfolg versprechende Konzepte sind in der frühen Phase des HRA an den nicht vorhandenen Möglichkeiten der Beschaffung und Verarbeitung der umfangreichen Datenmengen gescheitert.

    Dieses Problem hat sich durch die enorme Weiterentwicklung der Informationstechnologie zwar mittlerweile etwas entschärft. Dennoch hängt der Erfolg des Human Resource Accounting wesentlich davon ab, ob die zu verarbeitenden Daten auch hinsichtlich ihrer Qualität ausreichen.

    Zudem ist zu berücksichtigen, dass in arbeitsteiligen Organisationen regelmäßig Informationsasymmetrien auftreten, sodass ein nicht zu unterschätzendes Problem darin besteht, diejenigen Organisationsmitglieder, welche die Daten für das Human Resource Accounting liefern, zur tatsächlichen und wahrheitsgemäßen Herausgabe ihrer Informationen zu bewegen.

4. Ausblick

Das Human Resource Accounting bietet sicherlich ein beträchtliches Potenzial, für Investitionsentscheidungen – wie z.B. für Managemententscheidungen im Personalbereich oder Akquisitions-/Beteiligungsentscheidungen von Investoren – relevante Informationen zu liefern. Diesen Potenzialen stehen Schwierigkeiten gegenüber, die sich sowohl auf methodisch-technischer Ebene bewegen als auch durch Akzeptanzprobleme von Organisationsmitgliedern hervorgerufen werden.

Angesichts dieser Problemfelder ist das Human Resource Accounting auch heute noch weitgehend ein eher theoretisches Modell. Dennoch findet es in Grundzügen in jüngeren Controllinginstrumenten bereits Beachtung.

Zukünftig könnte sogar noch eine Ausweitung des Human Resource Accounting in Richtung „Beziehungsvermögen“ erfolgen. Bisher beschränkt sich die Ermittlung des Humanvermögens weitestgehend auf das betriebliche Personal, obwohl sich in der heutigen Arbeitswelt die Unternehmen vielfach in netzwerkartigen Kooperationen mit Unternehmen und Freelancern bewegen. Somit besteht ein weiterer „versteckter“ Vermögenswert des Unternehmens in dem Grad der Vernetzung, in seinen Beziehungen zum direkten Umfeld. Zukünftige Methoden des Human Resource Accounting könnten diesem Umstand Rechnung tragen, indem der Versuch unternommen wird, über das betriebliche Humankapital hinaus auch ein „Beziehungskapital“ zu bewerten.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich aber feststellen, dass viele der Einsatzfelder von Human Resource Accounting noch Zukunftsmusik sind. Nicht zuletzt wegen der Notwendigkeit, die nicht in der Bilanz enthaltenen Vermögensbestandteile ebenfalls einer Bewertung zu unterziehen, werden die Methoden zur Messung und Bewertung des Humanvermögens aber weiter an Bedeutung gewinnen.

Siehe auch

Due DiligenceUnternehmensbewertung

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