Controlling-Lexikon

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Controlling immaterieller Werte

1. Überblick

Die Bedeutung von immateriellen Werten wurde schon sehr früh erkannt. Bereits Ende der 70er-Jahre studierte Hiroyuki Itarni den Effekt der von ihm so genannten „invisible assets“ auf das Management japanischer Unternehmen. Danach beruhen erfolgreiche Unternehmensstrategien auf der Fähigkeit, das „unsichtbare“ Vermögen – technisches Know-how, Markenimage und Kenntnis der Kundenbasis – genauso wie das sichtbare Vermögen zu mobilisieren. Etwa 15 Jahre später veröffentlichte David Teece von der UC Berkeley einen Artikel über die Kommerzialisierung der Technologie. Nach seiner Auffassung ist dokumentiertes Wissen leichter zu transferieren als „stilles“ Wissen, sodass auch der Aufbau von technologischem Know-how wirkungsvoller als patentrechtlicher Schutz ist (Patente, Patentmanagement). Schließlich brachte Ende der 80er-Jahre Karl-Erik Sveiby den Begriff des „Humankapitals“ in die Diskussion ein und animierte damit zahlreiche Wissenschaftler und Praktiker dazu, neue Bewertungsmodelle für Unternehmen zu entwickeln, die auf der Kompetenz und dem Wissen der Mitarbeiter basieren.

Wie diese wenigen Beispiele zeigen, konzentriert sich das Thema der immateriellen Werte nicht auf einzelne funktionale betriebswirtschaftliche Ansätze, sondern auf deren systemische Vernetzung. Bevor daher Überlegungen zur Entwicklung von Controlling-Ansätzen im Bereich der immateriellen Werte angestellt werden, ist eine klare Zielformulierung nötig. Die Beschäftigung mit den immateriellen Werten ist kein Selbstzweck, sondern sollte der nachhaltigen Generierung von Erfolgspotenzialen dienen.

Eine Trennung in materielle und immaterielle Werte ist nur bei einer rein betriebswirtschaftlichen Betrachtung möglich und auch sinnvoll. Unter systemischer Betrachtung ist sie allerdings problematisch. Anders als materielle Werte, die in der Regel ihren Niederschlag in der Bilanz finden, beschreiben die immateriellen Werte einer Organisation einerseits die Funktionsfähigkeit der sozio-kulturellen Dimension und andererseits den Synergieeffekt aufgrund der Verbindung der einzelnen materiellen Werte. Produkte und Leistungen sind eine Verknüpfung aus beiden Sphären. Erst dadurch kann das Ganze mehr als die Summe der einzelnen Teile sein.

2. Bewertungsansätze für immaterielle Werte

Zur weiteren Darstellung des Controllings von immateriellen Werten bietet es sich an, zwischen vier Potenzialgebieten zu unterscheiden:

  1. Unter Humanpotenzial versteht man die Fähigkeit der Organisation, Mitarbeiter so zu entwickeln, dass ihre Kompetenz (Wissen, Fertigkeiten und der Umgang miteinander) den Anforderungen der Arbeit gewachsen ist.

  2. Das Markt- und Reputationspotenzial kennzeichnet die Fähigkeit, bei Kunden und Kooperationspartnern die Bereitschaft zu wecken, dauerhafte und vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten.

  3. Das Innovationspotenzial bezieht sich auf die Fähigkeit, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zu initiieren bzw. den Aufbau von Systemkontexten so zu gestalten, dass Selbstentfaltung und damit sozialer Wandel gefördert wird.

  4. Grundlage des Finanz- und Controlling-Potenzials ist die Fähigkeit, ausreichende Verfügbarkeit an finanziellen Ressourcen zu gewährleisten. Voraussetzung hierfür ist das Verständnis für betriebswirtschaftliche Prozesse und Beziehungen zu Investoren.

In der Literatur findet sich für diese vier Potenzialgebiete eine Reihe interessanter Controlling-Ansätzen. Einige davon sind inzwischen auch in der betrieblichen Praxis erprobt. Diese Potenzialbewertungsansätze lassen sich in fünf Gruppen gliedern:

  • Marktkapitalisierungsmodelle

  • Komponentenbewertungsmodelle

  • Scorecards

  • Indizes und holistische „Value Added“-Modelle

  • Return-on-Assets-Modelle

2.1 Marktkapitalisierungsmodelle

Der Nobelpreisträger James Tobin entwickelte bereits in den 50er-Jahren die Kennzahl „Tobin’s q“. Berechnet wird die Kennzahl durch Division des Marktwertes (Aktienkurs mal Anzahl der Aktien) durch den Wiederbeschaffungswert des Buchvermögens. Ein Wert größer als 1 (bzw. größer als der der Mitbewerber) lässt für die Zukunft höhere Gewinne erwarten, die letztlich auf immaterielle Werte zurückzuführen sind.

Eine ebenfalls weithin anerkannte Methode ist die Berechnung des immateriellen Wertes als Differenz zwischen Marktwert und Buchwert.

Beide Kennzahlen können allerdings nur für börsennotierte Unternehmen angewendet werden. Außerdem veranschaulichen sie zwar den monetären Wert der Intangibles und eignen sich durchaus für Unternehmensvergleiche. Sie erlauben aber keine Aussage über den Beitrag einzelner Potenzialgebiete.

2.2 Komponentenbewertungsmodelle

Ansätze zur Ermittlung des Humanpotenzials reichen bis in die 70er-Jahre zurück. So entwickelten verschiedene Autoren ein „Human Resource Costing and Accounting“, in dem die Wertbeiträge der Mitarbeiter den Gehaltskosten gegenübergestellt wurden. Bereits Ende der 90er-Jahre haben 150 finnische Unternehmen ihre Jahresabschlüsse um eine „HR-Bilanz“ und eine „HR-Gewinn- und Verlustrechnung“ erweitert (Human Resource Accounting).

Den immateriellen Wert eines Unternehmens ordnet „Technology Broker“ mithilfe eines aus 20 Fragen bestehenden Kataloges analytisch den vier Potenzialgebieten zu. Ähnliche Modelle verwenden auch einige Beratungsunternehmungen (z. B. „The Value Explorer“ von KPMG).

Da Komponentenbewertungsmodelle den Mangel der fehlenden Aussage über den Beitrag einzelner Potenzialgebiete beseitigen, ermöglichen sie damit – zumindest ansatzweise – das Erkennen von Ursache-Wirkung-Beziehungen. Allerdings sind sie sehr unternehmensspezifisch und verhindern damit Intercompany-Vergleiche.

2.3 Scorecards

Die von Kaplan/Norton entwickelte Balanced Scorecard (BSC) hat in den vergangenen Jahren eine weite Verbreitung erfahren. Der Balanced Scorecard-Ansatz geht davon aus, dass sich der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens nicht ausschließlich aus den finanziellen Ergebnissen heraus beurteilen lässt. Sie stellt daher „harte“ und „weiche“ Kennzahlen gleichberechtigt dar. Ihre Qualität hängt in hohem Maß davon ab, wie weit es gelingt, die Abhängigkeit der Kenngrößen zu erkennen, damit kein wichtiger Bereich außer Acht gelassen wird. In der betrieblichen Praxis gelingt dies häufig nur unvollständig. Die Herausforderung für das Management besteht nicht darin, „harte“ und „weiche“ Faktoren gleichberechtigt zu managen. Vielmehr geht es um die Frage, wie sich „weiche“ Faktoren (d. h. die immateriellen Werte) auf den Unternehmenserfolg auswirken.

Aus diesem Grund ist ein Blick auf andere Scorecard-Modelle nicht unangebracht. Zu diesen gehören der „Skandia Navigator“, der „Intangible Assets Monitor“ und – mit Abstrichen – die „HR Scorecard“, die ein Derivat der BSC darstellt.

Beim Skandia Navigator handelt es sich um ein Kennzahlensystem mit dem Anspruch einer ganzheitlichen Sicht auf Performance und Zielerreichung. Er wurde ursprünglich für den schwedischen Versicherungskonzern Skandia entwickelt.

Das Kennzahlensystem unterscheidet zwischen fünf „focus areas“ (vergleichbar mit den Perspektiven der BSC). Skandia ergänzt das Jahresreporting um zusätzliche Kennzahlen in den vier Feldern des „Intellektuellen Kapitals“ (vgl. Abbildung 1). Der wesentliche Unterschied zur BSC besteht darin, dass der Beitrag der nichtfinanziellen Perspektiven zum Unternehmenswert explizit dargestellt wird.

Die HR-Scorecard ist ein Derivat der BSC, welches sich auf den Bereich des Humankapitals beschränkt. Sie verzichtet damit von vorneherein auf den Anspruch, die gesamte Unternehmensstrategie abzubilden und erstellt in einem siebenschrittigen Verfahren ausschließlich für den Bereich der Humanpotenziale ein Bewertungssystem.

Auch der Intangible Assets Monitor gehört zu den in der Fachwelt anerkannten Scorecards. Er unterscheidet zwischen folgenden Kennzahlentypen (vgl. Abb. 2):

  • Externe Strukturindikatoren

  • Interne Strukturindikatoren

  • Kompetenzindikatoren

Zu jeder dieser drei Kategorien können Indikatoren für Wachstum, Innovation, Effizienz und Stabilität unterschieden werden. Es sind insbesondere solche Kennzahlen in die Tabelle aufzunehmen, die einen unmittelbaren Einfluss auf materielle wie immaterielle Werte haben.

2.4 Indexmodelle und Holistic Value Added

Der „Human Capital Index“ (HCI) von Watson/Wyatt ist ein gutes Beispiel für einen Index, nicht nur, weil er eine weite Verbreitung gefunden hat.

Seit 1999 führt das Consulting-Unternehmen Watson/Wyatt eine Dauerstudie durch, die in zweijährigem Rhythmus ein Set aus bestimmten Praktiken des Personalmanagements sowie objektive Finanzkennzahlen misst, zu denen u. a. der Marktwert, der dreijährige und fünfjährige Total Return (Aktienkursgewinn und Dividenden) sowie Tobin’s q gehören. Bei der Analyse der Daten hat das Unternehmen ein hohes Maß an Korrelation festgestellt.

An der Studie nehmen die Personalverantwortlichen von 750 großen Unternehmen aus Nordamerika und Europa teil. Sie beantworten einen umfangreichen Fragenkatalog u. a. zu den Themen Bezahlung, Personalentwicklung, Kommunikation und Personalbeschaffung.

Mit der Studie werden folgende Ziele verfolgt:

  • Ausstattung des Personalbereiches mit Finanzkennzahlen

  • Beantwortung der Frage, ob sich gutes Personalmanagement auszahlt

  • Lieferung von Entscheidungshilfen für Investitionen ins Humankapital

  • Analyse, welche Praktiken im Personalbereich sich besonders auszahlen

Das Set besteht aus Kenngrößen zu folgenden sechs Bereichen:

  • Effektivität des Personalmanagements

  • Klare Vergütungsstruktur

  • Beschaffung und Bewahrung exzellenter Mitarbeiter

  • Kollegialer, flexibler Arbeitsraum

  • Integrität der Kommunikation

  • Umsichtige Nutzung der Ressourcen

2.5 Return-on-Assets-Modelle

Return-on-Assets-Modelle (ROA-Modelle) gehören zu den jüngeren Entwicklungen, deren bekanntester Vertreter die Kennzahl „Economic Value Added“ (EVA) ist. Sie ermittelt die Wertsteigerung als Differenz zwischen Nachsteuergewinn und Kapitalkosten. Dabei wird der Gewinn durch eine Reihe von Adjustments korrigiert, die großteils mit immateriellen Werten in Beziehung stehen. Die Kennzahl indiziert damit, wie produktiv das intellektuelle Kapital des Unternehmens eingesetzt wird.

Zur monetären Bewertung des Immateriellen eignet sich der „Intangible Calculated Value“ (ICV ). Zur Berechnung wird zunächst ein branchenüblicher ROA für die nächsten drei Jahre bestimmt und mit der erwarteten durchschnittlichen Bilanzsumme multipliziert. Dieser Wert wird von den erwarteten Vorsteuergewinnen dieser drei Jahre abgezogen. Als Ergebnis erhält man die so genannten „Excess Returns“ für die drei Jahre. Zur Ermittlung des ICV werden diese um den durchschnittlichen Steuersatz reduziert und mit dem Kapitalkostenzinssatz diskontiert.

Da die ROA-Modelle den immateriellen Werten einen monetären Wert zuweisen, eignen sie sich für Unternehmensvergleiche. Sie sind anerkannt, weil sie die einzigen Modelle auf Basis traditioneller Methoden des Rechnungswesens sind. Sie ermöglichen allerdings keine Aussage über den Beitrag einzelner Potenzialgebiete.

3. Bewertung der immateriellen Werte

Die Darstellung aller relevanten Erfolgsgrößen macht eine Integration der rechnerischen Bewertung des materiellen Vermögens mit der analytischen Bewertung des immateriellen Vermögens erforderlich. Hierzu eignen sich folgende Verfahren, die sowohl analytische als auch synthetische Bewertungen ermöglichen:

  • Potenzialbilanzen

  • Effizienzkennziffern

  • Effektivitätskennziffern

  • Portfolios, Indices und Scorecards als Erklärungs- und Kommunikationssysteme

Der immaterielle Wert eines Unternehmens ergibt sich aus der Multiplikation der Potenziale mit der Effizienz der Nutzung und der Effektivität:

Immaterieller Wert = Potenziale x Effizienz der Nutzung x Effektivität

Viele Modelle konzentrieren sich auf die Bewertung der Potenziale. Typische Kennzahlen dieser Modelle sind z.B.:

  • Ausbildungsniveau

  • Ausbildungsinvestitionen

  • IT-Investitionen

  • Anzahl der (Groß-)Kunden

  • Bekanntheitsgrad

Demgegenüber messen Effizienzkennzahlen, wie gut die Potenziale genutzt werden. Zentrale Fragen sind z.B.:

  • Wie viel Prozent ihrer Kapazität nutzen Experten für hoch qualifizierte Aufgaben?

  • Sind sie in einem hohen oder geringen Ausmaß mit Nebentätigkeiten belastet?

Typische Kennzahlen sind:

  • Anteil an indirekt produktivem Personal

  • Fluktuation

  • Stammkundenanteil

  • Kundenbindungsrate

  • Bestellfrequenz

Effektivitätskennzahlen messen das Verhältnis Output zu Input, also z.B.:

  • Wie viele Ausschreibungen werden aufgrund der Arbeit von Experten gewonnen?

  • Wie viel Umsatz machen wir pro Kunde?

Typische Kennzahlen sind:

  • Gewinn, Umsatz oder Cash-flow pro Kunde

  • Value Added pro Mitarbeiter

  • Kundenkapitalwert

  • Mitarbeiterkapitalwert

Der gesamte Unternehmenswert lässt sich schließlich mithilfe folgender Formel bestimmen:

Unternehmenswert = (Buchwert + immaterieller Wert) x Kommunikation

Damit ist der Wert, der Unternehmen (von Investoren und anderen Stakeholdern) zugeordnet wird, nicht nur von der Summe aus Buchwert und immateriellem Wert abhängig. Da die Messung von Kommunikationskenngrößen allerdings sehr schwierig ist, wird oft darauf verzichtet.

Siehe auch

Economic Value Added (EVA)Immaterielle VermögensgegenständeImmaterielle WirtschaftsgüterPatentePatentmanagement

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