Corporate Purchasing

1. Einleitung

Das Corporate Purchasing (CP) basiert im Wesentlichen auf der Systematik der Corporate Identity-Begriffe sowie dem von Koppelmann entwickelten Modell des Beschaffungsmarketing.

Zum Phänomen Corporate Identity existiert in der betriebswirtschaftlichen Literatur eine umfangreiche Begriffssystematik, wobei alle vom CI-Begriff abgeleiteten Termini die grundsätzliche Orientierung an der Corporate Identity und deren Leitlinien verbindet. Der Begriff Purchasing wird im Allgemeinen mit Beschaffung übersetzt, wobei unter Beschaffung im Folgenden sowohl der Einkauf von Sach-, Dienstleistungs- und Energieprodukten als auch der Bezug von Immobilien und Rechten verstanden wird.

2. Entwicklung einer Corporate Purchasing-Strategie

Am Anfang einer CP-Strategie steht die Formulierung von Beschaffungsleitlinien. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, leiten sich diese Prinzipien aus der Corporate Identity ab und haben mittelbar Einfluss auf die Formulierung von Beschaffungszielen, die Wahl geeigneter Strategien und den Einsatz von beschaffungspolitischen Instrumenten.

Abbildung 1: Ableitung der Corporate Purchasing-Strategie

Mit den Beschaffungsgrundsätzen steht dem Unternehmen ein Handlungs- und Orientierungsrahmen zur Verfügung, der langfristig zur Einheitlichkeit und Kontinuität des Beschaffungshandelns beitragen soll.

2.1 Formulieren von CI-orientierten Beschaffungsleitlinien

In welcher Form Beschaffungsgrundsätze formuliert werden und welche Konsequenzen sie für das Beschaffungshandeln im Unternehmen haben, hängt vom jeweils verfolgten Zweck ab. Zielt die Corporate Identity-Strategie zum Beispiel darauf ab, die im Selbstverständnis des Unternehmens enthaltene ökologische Grundorientierung durch entsprechendes Verhalten zu dokumentieren, dann ergeben sich Konsequenzen sowohl für die Beschaffungsziele und -strategien als auch für den Einsatz beschaffungspolitischer Instrumente. So darf das Unternehmen zum Beispiel nur noch solche Lieferanten auswählen, deren Unternehmenspolitik unter ökologischen Kriterien den Anforderungen des Beschaffers gerecht werden.

Die Formulierung der Beschaffungsgrundsätze obliegt in erster Linie der Unternehmensleitung. In Zusammenarbeit mit der Beschaffungsabteilung entwickelt sie für alle Bereiche des Beschaffungshandelns verbindliche Kriterien und Vorgaben, zum Beispiel bezüglich der Auswahl von Märkten oder dem Umgang mit Lieferanten.

Grundlage hierfür sind in erster Linie die Basisziele des Unternehmens (Zielsystem).

2.2 Ableitung von Soll-Imagedimensionen für den Beschaffungsbereich

Ergänzend zu den CI-Richtlinien können die Dimensionen eines Soll-Beschaffungsimage eine zusätzliche Zielkomponente darstellen.

Ein Firmenimage setzt sich – zumindest bei größeren Unternehmen – in der Regel aus unterschiedlichen Imagekomponenten zusammen (einzelne Markenimages, Absatzimage, Beschaffungsimage etc.). Da das aus der Beschaffungspolitik resultierende Image einen erheblichen Einfluss auf das Verhältnis mit bestehenden und potenziellen Lieferanten hat, erscheint es wichtig, die langfristige Wirkung der Beschaffungspolitik auf das Unternehmensimage bei allen Maßnahmen zu berücksichtigen.

Die mit dem Unternehmen assoziierten Imagedimensionen wie Fairness, Zuverlässigkeit, Kontakt- oder Kooperationsbereitschaft können es dem Beschaffer erleichtern, Forderungen gegenüber Lieferanten durchzusetzen. Werden im Rahmen einer CP-Strategie solche Dimensionen als Sollimage formuliert, stellen sie für das Beschaffungshandeln einen ergänzenden Bezugsrahmen dar.

Ein positives Unternehmensimage ist insbesondere dann von besonderer Relevanz, wenn die Beschaffungsobjekte des Unternehmens überwiegend aus Spezial- oder Spitzenprodukten bestehen. Eine notwendig werdende strategische Partnerschaft mit einem Lieferanten kann unter Umständen leichter eingegangen werden, wenn der Beschaffer generell ein gutes Ansehen genießt.

Ein positives Beschaffungsimage kann sich allerdings nur entwickeln, wenn der Beschaffungspolitik ein konkreter Orientierungsrahmen zu Grunde liegt, der kurzfristigem Aktionismus vorbeugt. Genau hier setzt die Corporate Purchasing-Strategie an, indem sie die aus der Corporate Identity abgeleiteten Grundsätze auch für den Beschaffungsbereich zur Grundlage macht und bestimmte beschaffungsbezogene Regeln, zum Beispiel für die Auswahl von Lieferanten, vorgibt.

2.3 Umsetzung eines Corporate Purchasing-Konzepts

2.3.1 Formulierung von Beschaffungszielen und -strategien

Grundlage für die Festlegung von Funktionsbereichszielen sind die Basisziele des Unternehmens, die ihrerseits die CI-Grundorientierung reflektieren. So muss sich ein in der Soll-Identität herausgestelltes soziales Verantwortungsbewusstsein des Unternehmens auch in der Formulierung der Basisziele niederschlagen, beispielsweise indem gemeinwohlorientierte Ziele als eine Komponente der Basisziele entsprechend stark betont werden.

Die Leitlinien der CI-Grundorientierung beeinflussen mittelbar auch die Zielbildung im Beschaffungsbereich wie zum Beispiel Produkt-, Bezugs-, Service-, Kommunikations- und Entgeltziele. Ein in den Unternehmensleitlinien vorgeschriebenes ökologisches Verantwortungsbewusstsein hat damit Einfluss auf die Ausgestaltung bestimmter Instrumentalziele. So lässt sich als Komponente der Bezugsziele zum Beispiel die Steigerung des Anteils umweltschonender Transportmethoden (Bahntransport, Schiffsverkehr) formulieren oder bei der Festlegung von Produktzielen ließen sich zusätzlich ökologische Aspekte anführen.

2.3.2 Entscheidung über Beschaffungsmärkte und Lieferanten

Entscheidungen bezüglich der Beschaffungsmärkte und der Lieferantenauswahl sind konstituierendes Element in der Beschaffungspolitik eines Unternehmens und beeinflussen wesentlich dessen Beschaffungsimage. Corporate Purchasing soll diesem wichtigen Entscheidungsprozess einen Handlungsrahmen liefern und damit eine langfristige und widerspruchsfreie Beschaffungspolitik ermöglichen.

Einen wichtigen Aspekt der aus der Corporate Identity abgeleiteten Beschaffungsgrundsätze stellen folglich die Kriterien für die Auswahl von Beschaffungsmärkten und Lieferanten dar. Lieferanten, deren Unternehmenspolitik den Grundsätzen der eigenen Corporate Identity zuwiderlaufen, fallen im Rahmen der Lieferanteneingrenzung aus der engeren Wahl heraus. In dieser konsequenten Umsetzung der Corporate Identity liegt eine gute Chance des Unternehmens, Profil zu gewinnen und die Voraussetzungen für ein positives Beschaffungsimage zu schaffen.

Stellt ein Unternehmen als Komponente der Soll-Identität ein ökologisches Verantwortungsbewusstsein heraus, ergeben sich für die Entscheidung über Lieferanten ergänzende Kriterien, die in der Beschaffungsphilosophie festgehalten und konsequent befolgt werden müssen. Unter Umständen ist es sogar erforderlich, auch die Vorlieferanten nach ökologischen Kriterien auszuwählen.

2.3.3 Einsatz beschaffungspolitischer Instrumente

Das Corporate Purchasing hat auch beim Einsatz von beschaffungspolitischen Instrumenten den Charakter eines strategischen Orientierungsrahmens. Wichtigste Bestimmungsgröße hierzu bilden die Beschaffungsobjektmerkmale. Die Umsetzung von Corporate Purchasing erfolgt analog zur Beschaffungsmarkt- und Lieferantenauswahl über die Ausrichtung der beschaffungspolitischen Instrumente an den CI-Leitlinien.

Ein Auftritt des Unternehmens, der mit der Corporate Identity nicht vereinbar ist, kann sowohl in dessen Umwelt als auch bei den eigenen Mitarbeitern zu einem Vertrauens- und Sympathieverlust führen. Orientiert sich das Unternehmen auf der einen Seite an Leitlinien wie „optimale Kundenzufriedenheit realisieren“ oder „der Mensch steht im Mittelpunkt des Interesses“, herrscht auf der anderen Seite aber im Einkauf „ein rüpelhafter Umgangston“, dann liegen die negativen Folgen für das Unternehmensimage auf der Hand.

In vielen Unternehmen finden sich in den Beschaffungsleitlinien zwar Regeln zum richtigen, auf langfristige Kooperation angelegten Umgang mit den Lieferanten. Diese Elemente der Beschaffungsleitlinien werden allerdings schnell vergessen, wenn Kostendruck und intensiver Wettbewerb am Absatzmarkt vom Einkauf Konsequenzen fordern. Reagiert dieser mit einer aggressiven Preissetzungspolitik, vernachlässigt er, dass ein rein kostenorientierter Umgang mit bestehenden Lieferanten langfristig die Position des eigenen Unternehmens bei Verhandlungen mit potenziellen Lieferanten gefährden kann.

3. Funktionen und Nutzen von Corporate Purchasing

Eine Corporate Identity-Strategie hat unternehmensintern zunächst eine Koordinations- und Integrationsfunktion. Wird den Mitarbeitern des Unternehmens das Selbstbild als Grundkonzept und Orientierungsrahmen transparent gemacht, kann es die Koordination von Aktivitäten einzelner Funktionsbereiche erleichtern. Die im Selbstbild enthaltenen Werte können darüber hinaus Identifikationspotenziale bei den Mitarbeitern freisetzen und zur Steigerung der Motivation beitragen.

Für den Funktionsbereich Beschaffung hat das Corporate Purchasing die gleiche Wirkung. Ferner ermöglicht eine Orientierung an Unternehmensleitlinien den langfristig einheitlichen und stimmigen Auftritt am Beschaffungsmarkt, indem kurzfristigem Aktionismus, zum Beispiel in Form aggressiver Preisdruckpolitik, entgegengewirkt wird. Ziel muss es hierbei sein, bei bestehenden und potenziellen Lieferanten ein positives Image aufzubauen, das generell die Basis für Aspekte wie Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Akzeptanz bilden kann.

3.1 Lieferantenanalyse und Lieferantenverhandlung

Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit potenziellen Lieferanten hat das Image des Beschaffers Einfluss auf die Kooperations- und Informationsbereitschaft des Lieferanten. Prinzipiell tritt man leichter in Lieferantenverhandlungen, wenn man über ein ausgezeichnetes Image verfügt. Sensible Unternehmensdaten wie die Produktgruppenstrategien oder die Kapazitätsauslastung wird ein Lieferant unter Umständen eher preisgeben, wenn der Beschaffer für einen vertraulichen Umgang mit diesen Daten bekannt ist oder ganz allgemein über ein positives Image verfügt.

Der konkrete Nutzen von Corporate Purchasing wird bei den während der Lieferantenverhandlung eingesetzten beschaffungspolitischen Instrumenten besonders deutlich. Zur Verdeutlichung kann in Anlehnung an Koppelmann die Anreiz-Beitrags-Theorie verwendet werden: der Beschaffer bietet Anreize und fordert vom Lieferanten im Gegenzug Beiträge.

Aus Sicht des Beschaffers ist es Ziel des Verhandlungsprozesses, die eigenen Forderungen mit möglichst kostenminimalen Anreizen durchzusetzen. Hierzu stehen dem Beschaffer eine Vielzahl von Instrumentalvariablen zur Verfügung, die Anreizcharakter und die Funktion haben, eigene Ziele im Verhandlungsprozess zu erreichen. Durch die Einheitlichkeit des Umgangs mit bestehenden Lieferanten und die hieraus resultierende positive Imagewirkung kann Corporate Purchasing die eigene Verhandlungsposition stärken und den Wert der Anreize bestimmter Instrumentalvariablen erhöhen.

Prinzipiell werden die vom Beschaffer angebotenen Anreize – deren Wirksamkeit im Wesentlichen von der subjektiven Einstellung des Lieferanten gegenüber dem Beschaffer abhängen – glaubhafter, wenn dieser ein positives Image in den Verhandlungsprozess mitbringt.

Viele Angebote auf Beschafferseite haben darüber hinaus zunächst den Charakter eines Versprechens, weil in der Regel nicht alle vom Beschaffer geäußerten Angebote (zum Beispiel Gestaltungshilfen, Zuschüsse für FuE-Tätigkeiten etc.) vertraglich fixiert werden können. Die subjektive Einschätzung auf Lieferantenseite stellt daher die Grundlage für die Effektivität der im Verhandlungsprozess angebotenen Anreize dar. Diese Beurteilung hängt wiederum stark vom Beschaffungsimage des Verhandlungspartners ab.

3.2 International operierende Unternehmen

Der Nutzen der Innenwirkung einer Corporate Purchasing-Strategie lässt sich insbesondere an international operierende Unternehmen aufzeigen. Für kleinere – lediglich national operierende – Unternehmen mit einer zentralen Beschaffungsabteilung mag die Koordinations- und Integrationsfunktion von Corporate Identity noch nicht von so großer Bedeutung sein, weil die Unternehmensabläufe nicht so komplex sind und es häufig einfacher ist, den Mitarbeitern die Grundorientierung zu vermitteln. Demgegenüber benötigen global agierende Unternehmen, die über eigenständige internationale Standorte verfügende, einen übergreifenden Orientierungsrahmen, wie die Corporate Identity-Strategie ihn bereitstellen kann.

Corporate Purchasing gewährleistet in diesem Zusammenhang die Abstimmung der internationalen Beschaffungspolitik auf die aus der Soll-Identität abgeleiteten Leitlinien und hat darüber hinaus die Funktion eines Steuerungsinstruments für den Stamm- bzw. Hauptsitz des Unternehmens.

4. Zusammenfassung

Spätestens seit VW und Lopez wird dem Beschaffungsbereich in vielen Unternehmen vorrangig die Funktion der Kostenreduzierung zugeschrieben. Diese stark verkürzte Sicht kann jedoch langfristig Wettbewerbsnachteile zur Folge haben, wenn die wachsende Bedeutung der Kooperation mit Lieferanten nicht berücksichtigt wird. Dies gilt in besonderem Maße für international operierende Unternehmen, deren Beschaffungsobjekte hohe strategische Bedeutung haben.

Corporate Purchasing ist eine wirksame Strategie, die dem aus dem reinen Kostendenken herrührenden Aktionismus entgegenwirken kann. Die strategische Ausrichtung des Beschaffungsmarketing an den Grundsätzen der Unternehmensphilosophie hat langfristig positive Imagewirkungen zur Folge. Daher ist der Funktionsbereich Beschaffung in eine ganzheitliche Unternehmensstrategie zu integrieren. Corporate Purchasing stellt dabei ein sinnvolles Konzept dar.

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