Berücksichtigung früherer Erwerbe von derselben Person

Normen

§ 14 ErbStG

Information

1. Allgemeines

Erlangt jemand nicht zum ersten Mal von derselben Person einen Vermögensvorteil, so stellt sich die Frage, ob die Steuer für diesen (letzten) Erwerb nach § 14 ErbStG zu berechnen ist. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, bei mehrfachem Erwerb von derselben Person die persönlichen Freibeträge innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren nur einmal zur Anwendung kommen zu lassen. Ferner soll ein Progressionsvorteil (durch niedrigere Steuersätze) vermieden werden, der sich bei mehreren kleineren Erwerben im Unterschied zu einem größeren – einheitlichen – Erwerb ergeben könnte. Zu beachten ist, dass § 14 ErbStG lediglich die Berechnung der Steuer betrifft und nichts daran ändert, dass die einzelnen Erwerbe selbständige – jeweils für sich der Steuer unterliegende – Vorgänge sind.

2. Tatbestand des § 14 ErbStG

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert (z.B. damaliger Kurswert) zugerechnet werden. Soweit es sich um Vorerwerbe mit negativem Steuerwert handelt, sind diese von der Zusammenrechnung ausgenommen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 5, ErbStG, R E 14.1 Abs. 2 ErbStR 2011).

Gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG wird dann von der Steuer für den Gesamtbetrag die Steuer abgezogen, die für die früheren Erwerbe nach den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf der Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre. Ist jedoch die tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer höher, so ist diese von der Steuer für den Gesamtbetrag abzuziehen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG).

Die Steuer, die sich für den letzten Erwerb ohne Zusammenrechnung mit früheren Erwerben ergibt, darf allerdings durch den Abzug der Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 3 ErbStG nicht unterschritten werden (§ 14 Abs. 1 Satz 4 ErbStG)., Daher fällt für den Erwerber mindestens in diesem Umfang Steuer an. Zu beachten ist insoweit aber auch § 14 Abs. 3 ErbStG, wonach die Steuer nicht mehr betragen darf als 50 % des Letzterwerbs.

3. Berechnung des Zehnjahreszeitraums, § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG

Der Zehnjahreszeitraum ist gem. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB. – ausgehend vom letzten Erwerb rückwärts – zu berechnen. Die Frist beginnt mit dem Ende des Tages, an dem der letzte Erwerb erfolgt ist. Sie endet mit dem Beginn desjenigen Tages des letzten Monats der Frist, welcher dem Tage nachfolgt, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht (analog § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Fällt das Ende der so zu berechnenden Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so kommt § 108 Abs. 3 AO – wonach die Frist dann mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags endet – nicht zur Anwendung (BFH, 28.3.2012 – II R 43/11, BStBl II 2012, 599).

Beispiel:

Erfolgte der erste Erwerb am 31.12 2001 und der letzte Erwerb am 31.12.2011, so begann die Frist i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG am 31.12.2011 um 24 Uhr zu laufen und endete am 1.1.2002 um 0 Uhr. Damit fand der erste Erwerb nicht innerhalb des – ausgehend vom letzten Erwerb zu berechnenden – Zehnjahreszeitraums statt. Daher ist die Steuer für den Letzterwerb nicht gem. § 14 ErbStG zu berechnen.

4. Berechnung der abziehbaren fiktiven Steuer, § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG

Bei der Berechnung der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG abziehbaren fiktiven Steuer ist ein Freibetrag vom Wert der Vorschenkungen nur in der Höhe abzuziehen, in der ihn der Steuerpflichtige innerhalb von zehn Jahren vor dem letzten Erwerb tatsächlich für Erwerbe von derselben Person verbraucht hat. Die Hinzurechnung eines „wieder auflebenden Freibetrags“ bei Schenkungsketten über zehn Jahre hinaus entfällt (BFH, 02.03.2005 – II R 43/03, BStBl II 2005, 728).

Beispiel:

M hatte seiner Lebensgefährtin F im Jahr 2005 einen Geldbetrag i.H.v. 100.000 EUR geschenkt. Nach der Eheschließung im Jahr 2011 wendete M der F nochmals einen Geldbetrag – diesmal i.H.v. 750.000 EUR – zu (Beispiel nach Hinweis E 14.1 (3) ErbStH 2011).

Erwerb 2005
Barvermögen 100.000 EUR
Persönlicher Freibetrag Steuerklasse III 5.200 EUR
Steuerpflichtiger Erwerb 94.800 EUR
Steuersatz 23 %
Steuer 2005 21.804 EUR
Erwerb 2011
Barvermögen 2011 750.000 EUR
Barvermögen 2005 100.000 EUR
Gesamterwerb 850.000 EUR
Persönlicher Freibetrag Steuerklasse I 500.000 EUR
Steuerpflichtiger Erwerb 350.000 EUR
Steuersatz 15 %
Steuer auf Gesamterwerb 52.500 EUR
Fiktive Abzugssteuer 2011 auf Vorerwerb 2005
Barvermögen 2005 100.000 EUR
Persönlicher Freibetrag 2011 (500.000 EUR), höchstens beim Erwerb 2005 verbrauchter Freibetrag der Steuerklasse III 5.200 EUR
Steuerpflichtiger Erwerb 94.800 EUR
Steuersatz 2011 11 %
Fiktive Steuer 2011 10.340 EUR
Anzurechnen ist die höhere tatsächliche Steuer 2005 21.804 EUR
Festzusetzende Steuer 2011 30.696 EUR
Mindeststeuer 2011 (vgl. § 14 Absatz 1 Satz 4 ErbStG)
Erwerb 2011 750.000 EUR
Persönlicher Freibetrag 500.000 EUR
Steuerpflichtiger Erwerb 250.000 EUR
Steuersatz 11 %
Mindeststeuer 27.500 EUR
Festzusetzende Steuer 2011 30.696 EUR

Hinweis:

Vgl.zur Berechnung der abziehbaren fiktiven Steuer auch den Erlass des FinMin Saarland vom 21.07.2008 (B/5-2-133/2008-S 3820)

5. Tatsächlich für die früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer, § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG

Nach Ansicht des BFH (09.07.2009 – II R 55/08, BStBl II 2009, 969) ist unter der „tatsächlich für die früheren Erwerbe zu entrichtenden Steuer“ die Steuer zu verstehen, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage festzusetzen gewesen wäre. Damit kommt es nicht auf die für die früheren Erwerbe wirklich festgesetzte Steuer an.

Ist eine Schenkungskette gegeben, die über einen Zeitraum von zehn Jahren hinausgeht (z.B. Schenkungen in den Jahren 1999, 2004 und 2011), so ist eine sog. Überprogression – wegen der mehrfachen Berücksichtigung des mittleren Erwerbs – nach Ansicht des BFH (14.01.2009 – II R 48/07, BStBl 2009, 538) ausschließlich durch den Abzug der tatsächlich zu entrichtenden Steuer für den Vorerwerb zu korrigieren.

6. Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer bei mehreren Erwerben

Handelt es sich um einem Letzterwerb, für dessen Besteuerung mehrere Erwerbe von Auslandsvermögen nach § 14 Abs. 1 ErbStG zusammenzurechnen sind, so ist nur die ausländische Schenkungsteuer – oder Erbschaftsteuer – nach § 21 ErbStG anzurechnen, die für diesen Letzterwerb gezahlt wurde (BFH, 7.9.2011 – II R 58/09, BStBl. II 2012, 40).

7. Möglichkeiten der Steuerersparnis

Praxistipp:

Wer erhebliches Vermögen z.B. auf seine Kinder übertragen will, sollte langfristig planen. Unter Ausnutzung der Zehnjahresfrist lassen sich erhebliche Beträge an Erbschaftsteuer einsparen. Wird den Kindern nämlich bereits zu Lebzeiten im Wege von Schenkungen Vermögen übertragen, können alle zehn Jahre wieder die vollen Freibeträge angesetzt werden.

Beispiel:

Vater V stirbt und hinterlässt seinem 48-jährigen Sohn

Steuerersparnis Fall b gegenüber Fall a: 16.500 EUR
a): ein Barvermögen von
550.000 EUR
b): ein Barvermögen von
150.000 EUR, hatte aber seinem Sohn seit dessen 17. Lebensjahr jeweils im
Abstand von zehn Jahren 100.000 EUR geschenkt, zuletzt als der Sohn 47 Jahre
alt war
Lösung
a) Erwerb von Todes wegen 550.000 EUR
./.persönlicher
Freibetrag
400.000 EUR
–––––––
steuerpflichtiger Erwerb 150.000 EUR
Erbschaftsteuer bei einem
Steuersatz von 11 % (StKl I)
16.500 EUR
b)
Schenkungen 4 x
100.000 EUR
400.000 EUR
./. Freibeträge 4 x
400.000 EUR
(Erwerbe jeweils nach 10
Jahren)
1.600.000 EUR
–––––––
steuerpflichtige Schenkungen 0 EUR
Erwerb von Todes wegen 150.000 EUR
Hinzurechnung (hinzugerechnet wird allein
die Schenkung im 47. Lebensjahr, da noch keine 10 Jahre vergangen sind)
100.000 EUR
––––––-
Erwerb 250.000 EUR
./. Freibetrag 400.000 EUR
––––––-
steuerpflichtiger Erwerb 0 EUR
Erbschaftsteuer bei einem
Steuersatz von 7 % (StKl. I)
0 EUR

Die Freibeträge gelten jeweils für Erwerbe von einem Schenker oder Erblasser. Sind Ehegatten z.B. gemeinschaftlich Eigentümer des Vermögens (z.B. gemeinsame Bankguthaben, Grundstücke), verdoppeln sich die Freibeträge für Schenkungen an Kinder.

Beispiel:

Eheleute E sind u.a. zu gleichen Teilen Eigentümer eines Wertpapierdepots. Der Wert beträgt 900.000 EUR. Sie schenken dieses Depot ihrem 32jährigen Sohn.

Lösung

Erwerb von
Mutter Vater
Wert der
Schenkung
450.000 EUR 450.000 EUR
abzgl.
persönlicher Freibetrag
400.000 EUR 400.000 EUR
–––––- –––––-
steuerpflichtiger
Erwerb
50.000 EUR 50.000 EUR
Erbschaftsteuer
jeweils 7 %
3.500 EUR 3.500 EUR

Wäre der Vater Alleineigentümer des Depots gewesen, hätte sich folgendes Bild ergeben:

Wert der Schenkung 900.000 EUR
abzgl. Freibetrag 400.000 EUR
–––––––
steuerpflichtiger Erwerb 500000 EUR
Erbschaftsteuer 15 % 75.000 EUR

Bei Schenkung von gemeinsamem Eigentum beträgt die Steuerersparnis hier also 68.000 EUR.

8. Rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

Ändert sich der Wert eines dem Letzterwerb hinzuzurechnenden früheren Erwerbs später durch den Eintritt eines Ereignisses mit steuerlicher Rückwirkung, so ist dies auch hinsichtlich des Letzterwerbs relevant.

§ 14 Absatz 2 ErbStG regelt insoweit den Ablauf der Festsetzungsfrist. Die Festsetzungsfrist für die Änderung des Bescheids über die Steuerfestsetzung für den Letzterwerb endet nicht vor dem Ende der für eine Änderung des Bescheids für den früheren Erwerb maßgebenden Festsetzungsfrist (vgl. insoweit § 175 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach bei Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das Ereignis eintritt). Dieselben Konsequenzen hat der Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit dieses lediglich zu einer Änderung der anrechenbaren Steuer führt. Daraus ergibt sich, dass eine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids für den Vorerwerb nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch eine Änderung des Steuerbescheids für den Letzterwerb erforderlich macht (R E 14.3 Abs. 3 ErbStR 2011).

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