Der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg hat sich mit der Rechtsnatur, der Auslegung und dem Widerruf einer zwischen dem beklagten Finanzamt (FA) und dem Kläger außergerichtlich vereinbarten Schuldenbereinigung befasst. Gegen das Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Der Kläger war beim FA und anderen Gläubigern hoch verschuldet. Zur Rückführung der Steuerschulden von 190.152,18 Euro schlossen das FA und der Kläger im Oktober 2016 eine Vereinbarung zur Schuldenbereinigung. Darin verpflichtete sich der Kläger zu monatlichen Zahlungen von 600 Euro bis Dezember 2020. Das FA verpflichtete sich, bei Einhaltung des Schuldenbereinigungsplans die Steuerforderungen und aufgelaufenen Säumniszuschläge zu erlassen. Vereinbart war auch, dass bis zum 31.12.2020 dem Kläger zufallende Erbschaften oder Pflichtteilsansprüche im Verhältnis der ursprünglichen Forderungen aller Gläubiger zur Hälfte an das Finanzamt ausgekehrt werden (Nr. 2 der Vereinbarung). Nachdem das FA erfahren hatte, dass dem Kläger aus einer Erbschaft im November 2016 erhebliche Vermögensgegenstände zugefallen waren, widerrief es mit Schreiben vom 23. Februar 2018 die getroffene Vereinbarung. Nachdem eine Verständigung mit dem Kläger gescheitert war, widerrief das FA die Vereinbarung zur Schuldenbereinigung mit Schreiben vom 17. April 2018 „endgültig“. Der Kläger widersprach dem Widerruf. Im Mai 2018 leitete das FA die Zwangsvollstreckung ein, worauf der Kläger beim Finanzgericht Klage erhob. Er begehrte die Feststellung, dass der Widerruf der Vereinbarung zur Schuldenbereinigung unwirksam sei und die Vereinbarung fortbestehe. Das FA sei verpflichtet, die Vollstreckung aus den der Vereinbarung zur Schuldenbereinigung zugrundeliegenden Bescheiden einzustellen.
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger feststellen lassen wolle, dass der Widerruf der Vereinbarung zur Schuldenbereinigung durch das FA unwirksam sei. Die Feststellungsklage sei gegenüber einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Vereinbarung subsidiär. Das FA habe dem Kläger mit der widerrufenen Vereinbarung zur Schuldenbereinigung einen (einstweiligen) Vollstreckungsaufschub i. S. v. § 258 der Abgabenordnung (AO) gewährt. Dieser Vollstreckungsaufschub sei durch das FA mit Schreiben vom 23. Februar 2018 und vom 17. April 2018 widerrufen worden. Der Widerruf stelle als actus contrarius zum (hoheitlich gewährten) Vollstreckungsaufschub ebenfalls einen Steuerverwaltungsakt dar. Zudem habe sich das FA in seinen Schreiben vom 23. Februar und 17. April 2018 ausdrücklich des Rechtsinstituts des Widerrufs nach § 131 AO bedient, um die Regelungswirkung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes zu beseitigen. Das Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung könne zwar bei Würdigung der Gesamtumstände ein Indiz gegen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes sein, nehme für sich allein – wie der Regelung in § 356 Abs. 2 AO e contrario zu entnehmen sei – einem Verwaltungsakt aber nicht den Regelungscharakter.
Der Annahme eines Vollstreckungsaufschubs und damit der Verwaltungsaktqualität seines Widerrufs stehe auch nicht entgegen, dass der außergerichtliche Schuldenbereinigungsplan der Gestaltungsfreiheit des Gläubigers und des Schuldners unterliege. Dessen Rechtgrundlage sei in §§ 307 ff. Insolvenzordnung (InsO) zu suchen, auch wenn das gerichtliche Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet sei. Zwar habe der Schuldenbereinigungsplan die materiell-rechtliche Wirkung eines Vergleichs i. S. v. § 794 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 308 Abs. 1 Satz 2 InsO. Dennoch könne der Schuldenbereinigungsplan hoheitliche Maßnahmen wie einen Vollstreckungsaufschub enthalten, deren Voraussetzungen und Bestand im Finanzrechtsweg nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu prüfen seien.
Der Kläger habe keinen Anspruch gegen das FA, die Vollstreckung aus den der Vereinbarung zur Schuldenbereinigung zugrundeliegenden Bescheiden einzustellen. Die Klage sei insofern unbegründet, weil dem Kläger kein Anspruch auf einen Vollstreckungsaufschub zustehe. Die Vollstreckung sei weder nach § 258 AO unbillig noch setzte sich das FA in Widerspruch zu seinem ursprünglich bis zum 31. Dezember 2020 gewährten Vollstreckungsaufschub. Denn die Wirkung des Vollstreckungsaufschubs sei durch die Nichtbefolgung der in Nr. 2 getroffenen Vereinbarung durch den Kläger (ex nunc) entfallen. Im Übrigen habe das FA den Vollstreckungsaufschub nur unter der (auflösenden) Bedingung der Nichteinhaltung der Verpflichtungen des Klägers aus der Vereinbarung i. S. v. § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO gewährt. Dem FA sei für den Kläger erkennbar daran gelegen gewesen, dass die Vollstreckung nur solange aufgeschoben wird, wie die unter Nr. 2 der Vereinbarung vorgesehene Zusagen durch den Kläger eingehalten wird. Die begünstigende Wirkung des Vollstreckungsaufschubs sei mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) entfallen, als die (auflösende) Bedingung eingetreten sei. Eines Widerrufs des Vollstreckungsaufschubs hätte es vor diesem Hintergrund nicht bedurft. Werde der Verwaltungsakt allerdings – so wie vorliegend – trotzdem klarstellend aufgehoben, handele es sich bei dem Aufhebungsbescheid um einen selbständigen Verwaltungsakt. Im Rahmen dieses deklaratorischen Widerrufs sei keine erneute Ermessensentscheidung zu treffen, so dass die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides nur vom Eintritt der auflösenden Bedingung abhänge.
Selbst wenn Nr. 2 der Vereinbarung nicht als Bedingung, sondern als Auflage zu dem gewährten Vollstreckungsaufschub zu verstehen sein sollte, wäre der Widerruf rechtmäßig. Nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 AO könne ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage i. S. v. § 120 Abs. 2 Nr. 4 AO verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Das sei hier der Fall, weil der Kläger trotz seiner Erbschaft die Nr. 2 der Vereinbarung zur Schuldentilgung nicht eingehalten habe.
(FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 12.08.2019 zu Urteil vom 28.03.2019 – 1 K 1519/18; BFH-Az.: VII B 52/19)